Unter ihnen sind eine Gerichtseiche, eine Klosterlinde und eine Schlosseibe. Sie sind uralt und für Natur und Klima von besonderer Bedeutung. Eine Initiative setzt sich für ihren Schutz ein und kürt Nationalerbe-Bäume.
Sie würden sicherlich eine ganze Menge erzählen, wenn sie denn reden könnten. Seit Jahrhunderten stehen Methusalembäume an Ort und Stelle, um sie herum gab es Kriege, Feste, Freude und Leid. Viele von ihnen stehen mitten in Dörfern, oft vor Kirchen oder Klöstern. Wer sie wohl einst gepflanzt hat? Es bleibt ein Rätsel.
Welcher Baum der älteste Deutschlands ist, ist ungewiss. Unter den aktuell 30 Nationalerbe-Bäumen ist die Erler Femeiche im Westmünsterland mit geschätzten 900 Jahren der Spitzenreiter. Diese Eiche ist in vieler Hinsicht besonders: Mit über zwölf Metern Stammumfang ist sie wohl auch die dickste Eiche Deutschlands. Von 1363 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurden unter ihr Femegerichte abgehalten – sie ist damit der älteste bekannte Gerichtsbaum Europas. Manche Menschen haben unter ihr ihr Todesurteil erhalten.
Eine weniger tödliche, aber kaum kürzere Vergangenheit hat die Tassilolinde in der Nähe des Klosters Wessobrunn unweit des Ammersees. Sie übertrifft die Femeiche mit einem Stammumfang von über 14 Metern. An ihr Alter kommt sie fast heran: 800 Jahre dürften es sein.
Andreas Roloff ist Herr der Nationalerbe-Bäume, einer privaten Initiative zum Erhalt von Uraltbäumen in Deutschland. Er ist Seniorprofessor für Baumbiologie an der Technischen Universität Dresden und engagiert sich in der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft, einer Vereinigung für Baumkunde. Der Botaniker vermisst Methusalembäume in Deutschland. Bei einem Blick nach Großbritannien ist ihm aufgefallen, dass es auf der Insel viel mehr alte Bäume gibt als in Deutschland.
Da die klimatischen Bedingungen sehr ähnlich sind, fällt das Wetter als Begründung dafür weg. Für Roloff steht der Übeltäter fest: “Die Rechtsprechung in Deutschland ist überzogen.” Er meint damit, dass die Unfall-Sicherheit zu hoch gehängt wird. Baumbesitzer entscheiden sich dann zu oft für radikale Rückschnitte, die für die alten Bäume massive Auswirkungen haben: Weniger Laub führt zu weniger Zuckerproduktion und damit zu weniger Energie. Gleichzeitig können Pilze ungehindert an den Schnittstellen in den Baum eindringen und ihn zusätzlich schwächen. Manche Bäume werden auch gleich gefällt, weil Gutachten und Pflege den Besitzern zu teuer sind.
Mindestens 30 Bäume in Deutschland wird dieses Schicksal nicht ereilen. Sie wurden von der Initiative offiziell zu Nationalerbe-Bäumen ausgerufen und mit einer entsprechenden Plakette ausgezeichnet. Zehn bis 15 weitere Bäume sollen jährlich folgen. Wenn alles gut läuft, können Roloff und seine Mitstreiter schon vor dem Jahr 2030 den 100. Nationalerbe-Baum ausrufen.
Mögliche Uraltbäume sollten einen Stammumfang von mindestens vier Metern aufweisen. Außerdem kommen nur bestimmte Baumarten infrage, die in Deutschland 500 bis 1000 Jahre alt werden können. Dazu zählen bestimmte Eichen und Linden, Eiben und Ess-Kastanien.
Viele der Nationalerbe-Bäume sind auch offizielle Naturdenkmäler. Was die zusätzliche Ausrufung bringt, zeigen Entwicklungen der letzten Jahre. Roloff schildert, dass in den meisten Bundesländern die Pflege von Naturdenkmälern Aufgabe der Kommunen ist. Da viele Gemeinden die Kosten nicht mehr tragen können, streichen sie Bäume von ihren Listen. Das kann den Nationalerbe-Bäumen nicht passieren. Die Initiative kommt für sämtliche Pflegekosten der Uraltbäume auf.
Roloff hat jeden Naturerbe-Baum persönlich begutachtet. Er ist sehr beeindruckt von den Riesen. Auch in Zukunft soll das so weitergeführt werden. Neben dem Besuch neuer Kandidaten ist auch der regelmäßige Sichtung des Bestandes geplant.
Beim Blick auf die Deutschlandkarte fällt auf, dass selbst die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin einen Naturerbe-Baum haben. Die ersten 16 Bäume stehen in den 16 Bundesländern. Roloffs nächstes Ziel ist, dass zwischen zwei Naturerbe-Bäumen nicht mehr als 100 Kilometer Strecke liegt. Er hat die Karte schon vorbereitet, jetzt müssen nur noch die richtigen Bäume gefunden werden.