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Beim Start evangelischer Anerkennungszahlungen an Betroffene hakt es

Schon im November auf der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Dresden wurde klar: Mit einem einheitlichen Start zum 1. Januar des neuen Systems für Ausgleichszahlungen an Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie wird es schwer. Zwei Probleme benannten die Vertreterinnen des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt: Erstens die noch fehlenden Umsetzungsbeschlüsse in einigen Regionen und zweitens die noch fehlende Orientierungshilfe für die Entscheidungen über die Leistungshöhe, bei der Betroffene bislang ihr Veto einlegen.

Die EKD hat im März eine neue Anerkennungsrichtlinie veröffentlicht, die am 1. Januar flächendeckend in allen 20 Landeskirchen und 17 Diakonieverbänden in Kraft treten soll. Ziel der Richtlinie sind eigentlich einheitliche Regeln für Zahlungen an Missbrauchsbetroffene. Sowohl das Verfahren als auch die Höhe der Leistungen sollen unabhängig vom Ort für alle Betroffenen unter vergleichbaren Bedingungen stattfinden. Zuständig sind sogenannte Unabhängige Anerkennungskommissionen, die sich in regionalen Verbünden zusammenschließen können.

Die Höhe der Leistungen hängt von der Schwere der Tat und ihren Spätfolgen ab. Sie setzt sich aus einer individuellen Zahlung ohne Obergrenze und einer pauschalen Leistung in Höhe von 15.000 Euro zusammen, wenn die Tat nach heutigen Kriterien strafbar war. Auch Betroffene, die bereits Anerkennungsleistungen erhalten haben, können erneut einen Antrag stellen.

Allerdings müssen die Landeskirchen und Diakonieverbände die Richtlinie erst übernehmen, was bislang nicht überall der Fall ist. Auf den zuletzt tagenden Landessynoden der Landeskirchen wurde bekannt, dass etwa in Sachsen ein entsprechendes Kirchengesetz zur Übernahme der Richtlinie erst im März vorliegen soll. Das hatte die Synode gefordert. Auch in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz kann die Richtlinie nicht in Kraft treten, weil ein entsprechender Beschluss fehlt. In anderen Landeskirchen und Diakonie-Landesverbänden sind Abweichungen zur Richtlinie wahrscheinlich.

In Bayern soll etwa die bisherige Anerkennungskommission zunächst für eine Übergangszeit von drei Jahren unter anderem mit Vertretern besetzt bleiben, die in einem Dienstverhältnis zu Kirche oder Diakonie standen. In Hessen-Nassau will man vorerst ohne die Diakonie starten. Die Diakonie Hessen will Ende Januar nach ihrer Mitgliederversammlung folgen, teilte sie auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit.

Der Verbund Niedersachsen und Bremen, in dem sich sechs Landeskirchen und fünf diakonische Werke zusammengeschlossen haben, hat vorgesehen, der Richtlinie mit einer Ergänzung zuzustimmen. In bestimmten Fällen will die dortige Kommission zunächst zivilrechtliche Verfahren abwarten.

Detlev Zander, Mitglied im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt, sieht EKD-weit die Einheitlichkeit in Gefahr. Jeder mache weiterhin, was er wolle, kritisiert er. Einheitlichkeit werde nur behauptet, die Realität sei weiterhin ein Flickenteppich.

Er sieht auch nach wie vor Probleme beim sogenannten Anhaltskatalog, eine Orientierungshilfe für die Anerkennungskommissionen für eine einheitliche Spruchpraxis. Der Katalog ist derzeit noch in Arbeit. Er besteht aus einer Sammlung von hypothetischen Fällen sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie, denen auf Basis der Entscheidungen deutscher Zivilgerichte eine Leistungshöhe zugeordnet werden soll, heißt es in der Richtlinie.

Betroffene sexualisierter Gewalt aus dem zuständigen Gremium kritisierten auf der EKD-Synode, dass sie nach derzeitigem Stand nicht zustimmen können, weil sie befürchten, dass über den Anhaltskatalog doch eine Obergrenze für die Leistungen eingezogen werden soll. Auch wenn der Katalog nicht bis Januar verabschiedet werden kann, steht das der Umsetzung der Richtlinie aber nicht im Weg, hieß es aus der EKD.

Detlev Zander rät Betroffenen trotzdem erst einmal zum Abwarten: „Solange der Anhaltskatalog nicht fertig, nicht legitimiert und nicht flächendeckend akzeptiert ist, solange Landeskirchen und Diakonieverbände eigene Wege gehen, solange die EKD mehr verspricht, als sie halten kann, stellt keinen Antrag.“