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Bei Kilometer 15 ist die Pandemie vergessen

Ein sonntägliches Pilgern veranstaltet Pastor Frank Karpa vom Kirchenkreis Ostholstein. Der Clou: Jeder wandert seine eigene Strecke, verbunden ist man durch geistlichen Impuls. Redakteur Thorge Rühmann hat es ausprobiert – bis die Füße bluteten.

Zwischendrin die Füße hochlegen – auch das gehört zum Pilgern
Zwischendrin die Füße hochlegen – auch das gehört zum PilgernPrivat

Malente/Idstedt. Am Anfang stehen drei Sätze: „Ich bin da. Gott ist da. Das genügt.“ So lautet der erste Impuls, den ich in der E-Mail lese. Am Anfang steht auch ein einziger Schritt. Ist der getan, kann es losgehen: In der Fastenzeit bietet Frank Karpa, Pastor im Kirchenkreis Ostholstein, an bis Ostern einmal wöchentlich ein Sonntagspilgern an. Der Theologe pilgert mit Frau und Tochter an einem See nahe Malente. Ich wandere zeitgleich nördlich von Schleswig.

Kilometer 0: Schwer zu schätzen, wie viele Menschen jetzt mit uns losziehen und, wie es Frank Karpa vorschlägt, am Sonntagvormittag ab 9.30 Uhr rund 15 Kilometer durchs Land wandern – an Seeufern, auf Feldwegen, im Wald oder am Meer. Ich wandere zunächst durch einen Hohlweg, an beiden Seiten von hohen Knicks gesäumt. Er führt in ein grünes Tal, durch das sich eine Au schlängelt – der kleine Fluss kommt vom Langsee, den ich umrunden möchte. Am weiß-blau getupften Himmel strahlt fast schon frühlingshaft die Sonne.

Andere Dinge wahrnehmen

„Man muss erst einmal in den Pilgermodus kommen, bei mir dauert das etwa drei Kilometer“, sagt Pastor Karpa. Und erläutert weiter: Dadurch, dass die Pilger teils allein und schweigend unterwegs sind, nehmen sie ganz andere Dinge wahr, als wenn sie sich dabei unterhielten oder Musik hörten. „Man hört zum Beispiel das eigene Atmen, das Vogelgezwitscher, die Geräusche der Natur viel intensiver.“

Kilometer 7: Stimmt, so geht es mir auch. Aber da ist noch etwas anderes: Der linke Fuß tut weh, bei jedem Schritt am malerischen Seeufer schmerzt es zwischen den Zehen. Nicht so schlimm, dass ich direkt aufgebe, ich trete nur vorsichtiger auf. Nach einer halben Stunde gibt sich das Problem, der Fuß fügt sich. Solche Unbill wie auch Regen sei Teil der Übung, sagt Karpa: Beim Pilgern gehe es um Aushalten, Geduld und darum, nicht aufzugeben.

Unser Redakteur Thorge Rühmann pilgert durch den Wald
Unser Redakteur Thorge Rühmann pilgert durch den WaldPrivat

Ebenso gehöre der geistliche Impuls dazu, der Gelegenheit bietet, sich mit anderer Offenheit grundlegenden Lebensthemen und der eigenen Spiritualität zu nähern. Psalm 139 hat der Theologe diesmal ausgewählt. „Dieser Psalm nimmt einen mit auf eine Welt- und Lebensreise“, sagt Karpa. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“, heißt es darin. Biblische Poesie für Pilger.

Kilometer 15: Ich genieße das Gefühl, dass meine Beine inzwischen wie von allein laufen. In den Gesichtern der Passanten, die mir begegnen, spiegelt sich, was mich bewegt: endlich wieder einmal schlicht das gute Leben genießen, ohne Bedenken vor irgendetwas. Aufatmen! Die blöde Pandemie vergessen und Pläne schmieden. Der Fuß tut allerdings wieder weh.

Im Lockdown erfunden

Das Sonntagspilgern erfand Frank Karpa vor rund einem Jahr. Damals hatte der erste Lockdown im März seine Planung zunichte gemacht, sich wie üblich gemeinsam mit einer Gruppe auf einen Pilgerweg zu begeben. „Ich habe den Impuls dann einfach per E-Mail an die Teilnehmer geschickt“, erinnert er sich: „Denn ich merkte an mir selbst, wie gut es tut, dem ‚Stubenarrest‘ zu entfliehen.“ Das gelte auch nach einem Jahr im Zeichen der Corona-Auflagen: „Es ist sehr hilfreich, sich eine Auszeit vom In-der-Stube-Hocken und Video-Konferenzen zu nehmen.“

Großes Interesse

Das Interesse sei rege gewesen, das Feedback danach gut – so bietet der Pastor das Pilgern nun erneut an allen Sonntagen bis einschließlich Ostern an. Jeder geht nach eigenem Ermessen und Können. „Bei einem gemeinsamen Pilgern vor Ort gibt es sonst, am Ende des Wegs, oft ein eine Runde, in der man sagen kann, was einen bewegt hat“, erläutert Karpa: Diese Funktion übernimmt beim Sonntagspilgern eine anonymisierte Rundmail.

Kilometer 20: Zu Hause angekommen. Es ist wie im Märchen: Blut ist im Schuh! Doch das ist nur äußerlich, der Fuß ist schnell wieder hergestellt. Ich bin zufrieden – fünf Stunden unterwegs und dabei ein kleines Stück Welt neu kennengelernt und eine innere Wegstrecke weitergegangen. Was mich wohl auf der nächsten Tour erwartet?

Info
Am Sonntagspilgern kann jeder teilnehmen, der möchte. Es findet bis Palmsonntag jede Woche statt. Der geistliche Impuls wird nach Anmeldung stets am Freitag davor ausgegeben. Mehr Infos gibt es hier.