„Und dann auch noch Reli?“ – das ist oft die erste Reaktion vieler Berufsschülerinnen und -schüler, wenn sie ihren Stundenplan sehen. Nach einem Jahr hört man andere Töne: „Das war gar nicht übel. Jeder konnte sich einbringen, das Ganze war ziemlich handfest und konkret.“ Oder: „Wir haben intensiv diskutiert und dabei ist etwas in Bewegung geraten.“ – Wie kommt solch ein Wechsel in der Wahrnehmung zustande? Wir haben zwei Orte besucht, um mehr über den Religionsunterricht an Berufskollegs zu erfahren.
Herford, Anna-Siemsen-Berufskolleg: Wer die Schule betritt, sieht im Foyer ein großes Gebilde, einen Kokon aus Dachlatten und Stoffplanen. Geflüchtete und zugewanderte Schülerinnen und Schüler haben ihn unter Anleitung des Künstlers Oliver Schübbe gebaut und gestaltet. „Es war schwierig. Meine Finger haben sehr weh getan. Aber es hat Spaß gemacht“, beschreibt Rowaida Silo die Arbeit an dem Kunstobjekt.
In Herford werden solche Projekte durch den Religionsunterricht mitgetragen. Konkret geht es hier um die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen der internationalen Klassen. Religionslehrer und Pfarrer Ulrich Schade-Potthoff: „Der evangelische Religionsunterricht reagiert auf ein tiefsitzendes Problem: Die Flüchtlinge bilden schnell feste Grüppchen, die dann mit den Gruppen, die sich unter den einheimischen Schülern gebildet haben, keinen Kontakt herzustellen vermögen. Schüler stehen quasi nebeneinander, aber eine unsichtbare Trennwand verhindert, dass es zu erwünschten und so nötigen Begegnungen kommen kann. Das Projekt durchbricht solche Verhaltensmuster, indem es den beteiligten Lerngruppen gemeinsame Aufgaben erteilt, sie gemischten Arbeitsgruppen zuteilt und sie gemeinsame Ziele anstreben lässt.“
Bonn, Universitätsgebäude am Hof: Hier hat das „Bonner evangelische Institut für berufsorientierten Religionsunterricht“ (bibor) seinen Sitz (www.bibor.uni-bonn.de). Dort ist ein Filmprojekt entstanden, in dem sich Auszubildende aus unterschiedlichen Berufen gegenseitig zur Bedeutung ihres Berufs für das eigene Leben befragen. So schildern ein Friseur und eine Friseurin, wie wichtig das Gespräch für ihren Beruf ist.
Andreas: „Mir hat das schon immer gefallen, so diese alte Kunst. Und das Wirklich-mal-sich-Zeit-Nehmen, ein Gespräch, da wird dann erstmal schön der Rasierschaum angeschlagen. Da kommt man auch ins Gespräch, dieses Zwischenmenschliche, ja, was jetzt überall verloren geht.“
Manuela: „Wenn Kunden kommen und Schicksalsschläge hatten, sitzen und weinen, das ist für mich dann immer so: ,Sagste jetzt was, sagste jetzt nichts?‘ Also das ist immer noch so ‘ne Hemmschwelle. Aber für die zwei Stunden, die die dann da sind, fühlen die sich einfach wohl und gut aufgehoben. Das merkt man dann auch, aber das ist für mich auch ganz schön schwierig.“
Andreas Obermann, stellvertretender Leiter des bibor, schlägt den Bogen zum Religionsunterricht: „Das vertrauensvolle Gespräch ist beiden wichtig. So haben sie für das Foto als typische Szene ihres Berufes das Gespräch auf dem Sofa gewählt. Zufall? Ich denke nein! Denn im Friseursalon passiert Seelsorge. Die beiden würden ihre Arbeit wohl nie so bezeichnen. Doch für sie geht es nicht nur ums Haareschneiden oder Rasieren. Sie sehen ihre Kunden als ihre Nächsten. Und ihre Fragen ähneln denen, die auch in der Seelsorgeausbildung gestellt werden: Was sage ich? Wann und wie sage ich etwas? Nehme ich Bezug auf Dritte – theologisch gesprochen auf Gott?“
Religion und Beruf sind plötzlich ganz nah beieinander. Beide Auszubildende können im Religionsunterricht religiöse Trostworte, biblische Hoffnungsbilder oder das „aktive Zuhören“ kennenlernen. So erwerben sie Fähigkeiten, die in der Ausbildung sonst nicht vorkommen, aber das Leben nachhaltig beeinflussen und verändern können.
Berufsschulreligionsunterricht – dafür steht das Kürzel BRU und der Verband evangelische Religionslehrkräfte an beruflichen Schulen in NRW will solche Begegnungen und Projekte, wie sie oben beschrieben sind, durch einen neu gestifteten Preis in besonderer Weise fördern. „Wir stehen zusammen – wider die Spaltung in der Gesellschaft“ – so ist der Aufruf überschrieben, der alle Schülerinnen und Schüler, Schulklassen und Lehrkräfte ermutigen will, dem Erstarken von Egoismus, Ausgrenzung und Rechthaberei konkrete Aktionen entgegenzusetzen.
n Weitere Informationen: https://vrb-rwl.de/2017/08/26/wettbewerb/. Das Filmprojekt des bibor ist unter der Webadresse www.woran-du-dein-herz-haengst.de zu finden.