Nun wurde ihm der Abschied dann doch noch richtig schwer, nach 13 Jahren. „Ich habe erst beim Zurückblicken gemerkt, was doch für enge emotionale Bindungen hier entstanden sind. Grimmen ist mir lieb geworden“, sagt Pastor Wolfgang Schmidt – ein paar Tage vor seinem letzten Gottesdienst in der Marienkirche, der Ende August gefeiert wurde.
Es war keine Liebe auf den ersten Blick – und auch nach dem zweiten hatte die Kleinstadt zwischen Greifswald und Stralsund ihm „so einiges abverlangt“, das gibt der 64-Jährige zu.
Nach einer „vorpastoralen“ Zeit, in der der gebürtige Hallenser als Augenoptiker arbeitete und sich therapeutisch ausbilden ließ, wirkte er als Pastor in Brücken/Helme und war Superintendent im Kirchenkreis Elbe-Fläming. 2011 wagte er den mutigen Sprung in den Norden. Die ehemalige Kreis- und Erdöl-Stadt schien nach der Wende im Schatten der Hansestädte liegengeblieben. Stadt und Kirchengebäude präsentierten sich auch im neuen Jahrtausend noch lange nicht in restaurierter, schmucker Hülle. Einen „desolaten Zustand“ fand Wolfgang Schmidt an vier der fünf im Kirchenbesitz befindlichen Häuser vor, wie er sagt, Sanierungsstaus an beiden Marienkirchen in Grimmen und Stoltenhagen und den Kapellen in Klevenow und Kaschow. „Aber ein saniertes Pfarrhaus gab es, mit schönem Gemeinderaum“, sagt er.
Wolfgang Schmidt will wissen, wie die Menschen sich Gemeinde vorstellen
Auch die Menschen in der Kirchengemeinde wirkten auf ihn enttäuscht und ohne große Erwartungen. „Ich bin mit einer Umfrage in mein Amt gestartet“, beschreibt Schmidt. Er ist Analytiker. Er wollte wissen, wie die Menschen hier sich Gemeinde mit ihm vorstellen. Das Ergebnis enttäuschend: nur 36 von 1000 in die Haushalte geschickten Analysen kamen zurück. Schulterzucken, als dies auf Kirchenleitungsebene Auswertung fand. „Keine Erwartungen“ – das wurde für ihn dann aber auch Ansporn: Raum, der gefüllt werden konnte.
Gefüllt wurden dann erst einmal Baucontainer, 16 in der ersten Woche, und diverse Anträge, und so langsam entwickelte sich der Geistliche zu dem, was er nicht zu werden beabsichtigte – wofür er aber wohl sicher, so seine Befürchtung, in die Historie eingehen wird: der Bau-Pastor. Überfliegt man die Liste der Gebäude, die in den vergangenen 13 Jahren restauriert, der Projekte, die realisiert wurden: so entstehen zwei Fragen. Wann hat sich dieser Mann denn außerdem um Menschen gekümmert? Und: Wer soll das bezahlen?
Drei Millionen sind in 13 Jahren in Kirchen und Co. geflossen
Letzteres – nun. Für das Finanzielle hat Wolfgang Schmidt ein Händchen. Gut im Kontakte knüpfen und pflegen, informiert, engagiert, gut organisiert ist er und er schöpfte Fördermöglichkeiten aus. Drei Millionen sind in 13 Jahren in die Bauten geflossen: in beide Kirchen, beide Kapellen, Pfarrscheune, Pfarrhaus, das neue Gemeindehaus und das Fachwerkensemble Mühlenstraße. Ein Kraftakt.
Und die erste Frage? Wann war Zeit für die Menschen? Zum einen: Wolfgang Schmidt ist Früh- oder besser: Sehr-Früh-Aufsteher, munter ab halb fünf. „Ich habe manchmal 70, 80 Stunden die Woche gearbeitet und bin an die äußerste Grenze gegangen“, gibt er zu. Denn da sind ja auch noch die Bücher die er schrieb, und all die Schwierigkeiten, mit denen er sich immer wieder konfrontiert sah: Einbrüche, Brandstiftung, Bedrohungen. Zum anderen: Natürlich waren sie ihm das eigentliche Anliegen, die Menschen! Das ist deutlich, wenn er von Gemeindeausflügen erzählt, die er regelmäßig angeboten hat, von Gottesdiensten, Veranstaltungen. Und überdeutlich wird es durch die vielen Fotos von Hochzeiten, Festen, Gesprächsrunden. Festgehalten im Buch: „Über meine Dienstzeit als Gemeindepfarrer in Grimmen“, dass er kürzlich herausbrachte.
Sakrale Räume: Menschen sollen sich wohlfühlen
Die Häuser – sie sind nötig. Sakrale Räume, die ansprechend sind, weil Kirche sich dort präsentiert. „Damit es Orte sein können, wo Gottes Ehre wohnt“, sagt er. „Darum habe ich es getan. Weil es sein musste, und weil die Kirchen und Kapellen wieder so werden sollten, dass Menschen sich hier wohl fühlen.“ Die Kunstglasfenster der Marienkirche Grimmen, gestaltet vom Glaskünstler Thomas Kuzio: einmal ringsherum, 29 Fenster aus dem 21. Jahrhundert. Was allein sie aus der Kirche gemacht haben! An diesem Sommertag durchflutet buntes Licht die Chorgänge. „Schauen Sie das Farbenspiel an“, schwärmt er beim Durchschreiten „seiner“ Kirche. Er zeigt die Blumen, die die Küsterin stets hinstellt. „Hierher können wir Menschen einladen!“
Und dennoch: die Orte sind Hülle, Mittel zum Zweck. Das Wesentliche passiert innen. „Wir sind noch immer keine große, aber wir sind eine gute Gemeinde mit Tiefe geworden“, sagt er. Mit vielen Talenten, die sich einbringen und einem jungen, vorwärtsgewandten Kirchengemeinderat.
Der Moment, wenn Menschen durch sein Wirken Gott erfahren
„Im tiefsten Innern ist es mir immer darum gegangen, dass Gott Raum und Möglichkeiten bekommt, Menschen durch sein Wort zu begegnen und im Inneren des Herzens anzurühren.“ Der Moment, wenn Menschen durch sein Wirken Gott erfahren. In persönlicher Nähe. Das war ihm das Wichtigste, nicht das Bauen. „Auch wenn das von außen betrachtet für manche nicht so erkennbar war“, fügt er mit seiner weichen, zurückgenommenen Stimme hinzu. Nach drei großen Momenten in seiner Zeit hier als Pastor befragt, nennt er nicht die Merkel-Besuche oder die festlichen Einweihungen. Er spricht von einem stillen Gebet, dass er mit einer Frau hielt, die sich in Verzweiflung an ihn wandte – Verzweiflung, die er nicht nehmen, aber die sie gemeinsam vor Gott legen konnten. Momente, in denen Gott wirkte – durch ihn. Ohne Schnörkel, Pauken und Trompeten.
„Es sind diese stillen Momente, in denen Gott ganz groß ist“, und die er mitnehmen wird. Zwar, auch sie dürfen dabei sein, die Pauken und Trompeten. Ein Jugendblasorchesterauftritt – er inmitten feurig eifernder Menschen in einer prall gefüllten Kirche – auch der kommt in sein „schönste-Momente-Album“ des Herzens. Und der Augenblick, als sein Kirchengemeinderat die Partnerschaft mit der südafrikanischen Gemeinde in Adamshoop beschloss, und eine Frau noch 50 Euro Spende nachbrachte. „Zu spüren, dass wir den Blick füreinander behalten und nicht nur in eigenen Sorgen verharren.“