Artikel teilen

Bald klingt sie wieder wie früher

Die Restaurierung der wertvollen Arp-Schnitger-Orgel im kleinen Oederquart (Niedersachsen) steht vor ihrem letzten Schritt. Wenn sie wieder zu hören ist, soll sie einen Orgel-Tourismus auslösen.

Die Arp-Schnitger-Orgel in der Johanniskirche sieht schon wieder fast so aus wie vor 300 Jahren
Die Arp-Schnitger-Orgel in der Johanniskirche sieht schon wieder fast so aus wie vor 300 JahrenMichael Eberstein

Oederquart. Arp Schnitger gehörte vor gut drei Jahrhunderten zu den besten Orgelbauern. In Norddeutschland hat er etwa ein Dutzend bemerkenswerte Orgeln gebaut, darunter auch die in dem 1000-Seelen-Dorf Oederquart im Kehdinger Land zwischen Stade und Cuxhaven. Schnitger baute aber auch Orgeln für England, Russland, Spanien und Portugal.
Die Gemeinde Oederquart muss Ende des 17. Jahrhunderts recht wohlhabend gewesen sein, denn sie konnte sich zwischen 1678 und 1682 den Neubau einer Orgel durch die schon sehr renommierte Firma Schnitger aus Stade leisten, obwohl sie erst drei Jahrzehnte zuvor den seinerzeit teuersten Orgelbaumeister Hans Christoph Frietzsch mit dem Neubau einer Orgel beauftragt hatte.

Gemeinde gut bei Kasse

Nicht immer scheinen die Bauern so gut bei Kasse gewesen zu sein, denn aus alten Büchern geht zwar hervor, dass es schon um 1580 eine Orgel in der Kirche gegeben hat. Sie wurde damals vom Küster und seinem Sohn zweimal repariert, das zweite Mal, nachdem im Dreißigjährigen Krieg Soldaten des Generals Pappenheim das Instrument verwüstet hatten. Geld aber haben der Küster und sein Sohn offenbar nicht bekommen. Immerhin muss es den Bauern im Kehdinger Land, in dem damals noch Getreide angebaut wurde, ab Mitte des 17. Jahrhunderts wirtschaftlich gut gegangen sein: „Sie konnten nach dem Krieg ihr Getreide zu jedem Preis nach Hamburg oder England verkaufen“, erklärt Martin Böcker.
Der Stader Organist und Kantor ist Orgelsachverständiger der hannoverschen Landeskirche. Er hat auch in Oederquart den Anstoß zur Restaurierung der wertvollen Orgel gegeben. Denn das Instrument hatte bis 1995 eine wechselvolle Geschichte hinter sich. „Es war nicht mehr viel vom Original da“, erinnert sich Böcker, der auch Professor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg ist. Er konnte die Kirchengemeinde von der Wiederherstellung des historischen Ins-truments überzeugen. Die Voraussetzungen waren günstig, denn im 19. Jahrhundert hatte ein Lehrer namens Rencken das historische Instrument genauestens dokumentiert.
Immerhin war ein großes sichtbares Element der Orgel erhalten, die Prospektpfeifen in den beiden Pedaltürmen. Sie waren auch beim letzten Umbau der Orgel, 1971 durch die Firma Hillebrand (Altwarmbüchen), erhalten geblieben. Überraschender noch: Die großen Zinnpfeifen hatten den Ersten Weltkrieg überstanden und waren nicht eingeschmolzen worden. „Sie waren vermutlich einst mit Stanniol foliert worden, um sie glänzen zu lassen“, vermutet Böcker. Diese Folie dürfte mit der Zeit abgeblättert, die Pfeifen womöglich mit Silberbronze übermalt worden sein. Das aber hätte man sonst nur mit einfacheren Bleipfeifen gemacht. Nur noch die Zinnpfeifen der Orgel in Cappel (bei Dorum, südlich von Cuxhaven), die Schnitger ursprünglich für das Johanniskloster in Hamburg gebaut hatte, sind bis heute erhalten.

Arbeiten begannen vor 16 Jahren

Der Rückbau zu einer Schnitger-Orgel begann in Oederquart im Jahr 2000. Firma Hillebrand brachte die Pfeifen in den Prospekttürmen wieder zum Klingen. Damit war der Anfang gemacht. „Ohne Martin Böcker hätten wir uns nicht getraut“, ist Marlies Ahlf vom Kirchenvorstand überzeugt, „wir haben ihm vertraut.“ Hinzu kam, dass auch EU-Mittel in Aussicht standen. Damit waren schon drei andere Orgeln im Alten Land restauriert worden. Landeskirche und Klosterkammer stellten weiteres Geld zur Verfügung. Auch örtliche Geldgeber und Pfeifenpaten halfen – und helfen – bei der Finanzierung mit. Denn wenn alle drei Bauabschnitte vollendet sind, dürften 700 000 Euro geflossen sein.
Doch noch immer verfügte die Orgel nur über drei Register, die aus der Barockzeit erhalten waren.  Zudem war sie durch Umbauten in den Jahren 1781 (durch Johann Daniel Busch, Itzehoe), 1864/65 (durch Johann Hinrich Röver, Stade) und 1907 (durch die Firma Furtwängler und Hammer, Hannover) so verändert worden, dass sie nicht mehr dem barocken Original entsprach, weder optisch noch klanglich. Durch die historischen Überlieferungen war aber bekannt, wie die Orgel von Schnitger gebaut worden war – mit immerhin 28 Registern.
Zwischen 2014 und Pfingsten 2015 konnten in einem zweiten Bauabschnitt schon zwölf Register nach historischem Vorbild wiederhergestellt werden. Doch noch immer fehlen sieben Register im Rückpositiv sowie je drei im Hauptwerk und Pedal. Auch im Inneren muss noch einiges ersetzt werden; bisher ist etwa nur einer von vier Bälgen eingebaut, die anderen warten noch auf den Einbau. Zu den kleineren, aber nicht minder wichtigen Arbeiten des derzeitigen Orgelbauers Rowan West aus Ahrweiler gehören auch noch Aufsätze an den Spieltischwangen.

Förderverein gegründet

„West ist ein absoluter Fachmann für barocke Orgeln und in seine Arbeit geradezu verliebt“, sagt Böcker. West, ein gebürtiger Australier, habe einst eine Schallplatte mit Aufnahmen der Schnitger-Orgel in Steinkirchen bekommen, erzählt der Orgelsachverständige. Dabei sei Wests Wunsch gewachsen, Orgelbauer zu werden. Mit den Ergebnissen der Orgel-baufirmen unzufrieden, bei denen er gelernt hatte, gründete er eine eigene Firma und hat sich auf barocke Instrumente spezialisiert. „Er hat sich mit den Parametern der Originale auseinandergesetzt und sie verstanden“, erklärt Böcker.  Um in Oederquart etwa das Zungenregister zu erneuern, das Schnitger offenbar schon von der Vorgängerorgel aus der Renaissance übernommen hatte, studierte West den Aufbau einer ähnlichen Orgel in den Niederlanden.
Wolf-Christian von Uslar-Gleichen kann der Begeisterung über die Arbeit des Orgelbauers nur zustimmen. Er und seine Frau sind die „Motoren“ des vor vier Jahren gegründeten Fördervereins. Er sei „ein bisschen blauäugig“ an die Aufgabe heran gegangen, räumt der Rechtsanwalt im Ruherstand ein. Doch mit großem Ideenreichtum und Beharrlichkeit ist es gelungen, viel Geld für die „schlafende Königin“ von Oederquart zu beschaffen. „Dass wir jetzt schon von dem dritten Bauabschnitt sprechen, ist ein Wunder“, sagt von Uslar-Gleichen. Der Fördervereinsvorsitzende blickt jedoch zuversichtlich auf diesen letzten Bauabschnitt, der rund 280 000 Euro kosten soll. „Aber den  Auftrag erteilen wir erst, wenn die Zusagen erteilt sind.“
Ab Herbst, so hofft Pastorin Martina Janssen, werde die Orgel in voller Schönheit erklingen.  Für sie ist das Wiederaufleben der Orgel „ein kleiner Beweis, dass es den Heiligen Geist wirklich gibt und er wirkt.“ Sie erinnert daran, dass die Bundesregierung gerade den Orgelbau und die Orgelmusik als „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ vorgeschlagen hat. „Dann haben wir hier ein Instrument, das mit Fug und Recht zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört“, freut sich die Pastorin.

Orgel-Studenten sollen kommen

Vor allem sei es ein Instrument, das sich für Konzerte eigne, meint Diakon Martin Michaelek, der in Oederquart die Orgel spielte und gerade zu Ostern als Kantor verabschiedet wurde. Er gehe „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt er. Da er im Kirchenkreis bleibe, werde er sicher auch weiterhin häufiger in Oederquart spielen können. Vor allem aber durch die Zusammenarbeit mit der Stader Orgelakademie und der Musikhochschule in Hamburg – beides Kontakte über Martin Böcker – dürfen sich Orgelfreunde auch auf hochklassige Konzerte freuen.
Nicht zuletzt werde die Schnitger-Orgel dann einen Orgeltourismus in Oederquart auslösen, ist von Uslar-Gleichen überzeugt. Den gebe es zwar dank der Orgelakademie schon, „aber hierher ist bisher kaum jemand gekommen.“ Wie es künftig aussehen wird, lässt die Begeisterung der Hamburger Musikstudenten, die hier Examens-Vorspiele machen dürfen, erahnen. Oder von der Gruppe Fachleute aus den Niederlanden, die im vergangenen Jahr da waren und spontan versprachen: „Wir kommen wieder.“