Die evangelische Regionalbischöfin und Ethik-Expertin Petra Bahr aus Hannover hat auf die Zwiespältigkeit der Idee der Selbstbestimmung in Ethik und Recht aufmerksam gemacht. „Selbstbestimmung ist eines der vornehmsten Grundrechte unserer Verfassung“, sagte Bahr am Donnerstagabend bei einem Vortrag in der Leibniz Universität Hannover. „Es ist das Konzept, das sich über alle Altersgruppen hinweg mit einem gelingenden, erfüllten Leben verbindet.“
Aber der Radius der eigenen Autonomie ende dort, „wo das Bedürfnis nach Selbstbestimmung anderer beginnt“, sagte Bahr laut Redemanuskript. „Wo Selbstbestimmungsbedürfnisse sich zu nahe kommen, kracht es auch schon mal.“ Diese Grenze müsse ständig ausgehandelt werden, betonte die Theologin, die auch Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Dabei spielten auch „kulturelle Tiefenprägungen“ eine Rolle.
Bahr zeigte dies am Beispiel der Organspende. Hier gebe es ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung an der Grenze der Unversehrtheit des eigenen Körpers, deshalb erfordere eine Organentnahme im Falle des Hirntodes in Deutschland eine explizite Zustimmung. In Spanien dagegen werde die Spendenbereitschaft schlicht vorausgesetzt. Hier sei die Orientierung am Wohl der anderen in dieser Frage deutlich ausgeprägter.
Seit einigen Jahren bänden sich in Deutschland existenzielle und auch ethische, rechtliche und medizinische Fragen zum Anfang und Ende des Lebens an den Leitbegriff der Selbstbestimmung, sagte Bahr. Selbstbestimmung sei „so etwas wie der normative Kern der Moderne“. Doch in Beziehungen oder in Sorgeverhältnissen, wenn Entscheidungen für Schwächere übernommen werden müssten, komme die Selbstbestimmung an ihre Grenzen.
Die Regionalbischöfin sprach bei einer Veranstaltung der Leibniz-Uni zum Wissenschaftsjahr 2024 unter dem Thema Freiheit. Sie nahm auch Bezug auf den 300. Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant (1724-1804), der unter anderem den Begriff der Autonomie, also der Selbstbestimmung, prägte.