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Asche in der Geige

Der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein sammelt Instrumente, die jüdische Opfer des Nationalsozialismus hinterlassen haben. In Dortmund sind sie jetzt zu hören

epd-bild / Debbie Hill

Von Anke von Legat

Oma, Opa, Tante oder Onkel – diese Worte kannte Amnon Weinstein als Kind nicht. Der Sohn europäischer Juden, die vor der Shoah nach Israel fliehen konnten, hatte nur seine Eltern und Geschwister als Familie. Etwa 400 Verwandte, so hat seine Mutter einmal ausgerechnet, wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Über diese Gräueltaten wurde jedoch in Weinsteins Familie kaum gesprochen. Die Generation der Nazi-Überlebenden war zu sehr mit dem Überleben beschäftigt, als dass sie sich mit ihren Traumata und Verlusten hätte auseinandersetzen können.
Amnons Vater Moshe, einer der ersten Geigenbauer Israels, nahm sich der verdrängten Erinnerung jedoch auf seine Weise an: Er sammelte in einer Ecke seiner Werkstatt alte Geigen, die die Auslöschung des jüdischen Lebens in Deutschland irgendwie überstanden hatten – sei es, weil sie auf der Flucht bei Verwandten zurückgelassen worden waren; sei es, weil Musiker dank ihrer Hilfe im Konzentrationslager überleben konnten. In manchen von ihnen findet sich noch Asche aus dem Konzentrationslager Auschwitz.
Jahrzehnte später, Amnon Weinstein hatte die Werkstatt längst von seinem Vater übernommen, kommt ein junger deutscher Bogenmacher zu ihm. Daniel Schmidt stammt aus Dresden und nutzt die gerade gewonnene Freiheit der Wiedervereinigung, um Israel kennenzulernen. Ihm fallen die vielen, zum Teil hochwertigen Instrumente auf, die in Glasschränken lagern. Schmidt ist fasziniert und beginnt zu recherchieren. Und langsam lässt auch Amnon Weinstein sich auf die Reise in die Vergangenheit der Instrumente und ihrer Besitzer ein.
Das Sammeln und Restaurieren der Instrumente wird zu seinem Lebenswerk, das er bis heute vorantreibt. Und zu seiner Spielart des Widerstands gegen die Vernichtungsmaschine der Nazis: Nicht nur die Berichte über Erniedrigung und Tod, die brutalen und schockierenden Bilder sollen in Erinnerung bleiben. Erinnerung soll sich auch finden lassen in den weichen Tönen der Geigen, Bratschen und Celli, die ihre Besitzer überlebt haben. Auch wenn Weinstein davon überzeugt ist, dass das Grauen, das die Instrumente miterlebt haben, am Klang selbst nichts ändert, hat er beobachtet: „Es sind die Musiker, die anders auf ihnen spielen, sobald sie die Geschichten hinter den Instrumenten kennen. Dadurch ergibt sich der besondere Klang, weil die Musiker 1000 Prozent geben, nicht 100!“
Darum geht Amnon Weinstein bis heute mit seinen Instrumenten auf Reisen, begleitet von seinem Sohn Avshalom, der in die Fußstapfen seines Vaters tritt. Er zeigt die „Geigen der Hoffnung“ auf der ganzen Welt – zum Teil ganz einfache, zum Teil aufwändig gearbeitete Instrumente mit Perlmutt-Intarsien, die unter anderem Davidsterne zeigen. Zu jedem Instrument erzählt er eine Geschichte. Und er lässt sie spielen, von Musikern vor Ort. Am siebzigsten Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, am 27. Januar 2015, erklangen sie etwa in Berlin: Israelische und deutsche Musiker spielten sie unter Leitung von Simon Rattle in der Berliner Philharmonie.

Lesetipp: Einen Einblick in Amnon Weinsteins Lebenswerk gibt das Buch „Geigen der Hoffnung. Damit ihr Lied nie verklingt“ von Titus Müller und Christa Roth. Adeo-Verlag, 216 Seiten, 17,99 Euro.