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Blühende Balkone: Artenvielfalt auf drei Quadratmetern

Kornblumen, wilder Majoran, Spitzwegerich: Wer Wildpflanzen setzt, fördert die Artenvielfalt und bietet Schmetterlingen und Insekten Nahrung und Lebensraum. Das geht auch auf dem Balkon.

Frankfurt a.M. (epd). Die blaue Duftnessel ist besonders bei Hummeln und Feldwespen beliebt. Im Balkonkasten sei ihre schon 80 Zentimeter hoch geworden, erzählt die Münchnerin Katharina Heuberger am Telefon: «Ich sehe meinen Balkon als Naturkleinstgarten.» Auf drei Quadratmetern blühen bei ihr 80 Arten heimischer Wildpflanzen, die sie aus zertifizierten Biobetrieben erwirbt. Taubenschwänzchen
naschten am Muskateller-Salbei oder an der Kornrade, sie hat auch Kartäusernelken, Hornklee, Steppensalbei und Natternkopf gepflanzt.

   Mit ihrem Mann lebt sie in einer Mietwohnung mit insgesamt zehn Quadratmeter Balkonflächen zwischen Hauptbahnhof und Donnersbergerbrücke. Vor acht Jahren legte sie los und begann, Wildpflanzen zu setzen. Für ihr Projekt «Wilder Meter» im fünften Stock der Wohnanlage ist sie dieses Jahr mehrfach ausgezeichnet worden, mit dem Bayerischen Biodiversitätspreis und auch vom Projektteam «Tausende Gärten – Tausende Arten» der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft.

   Im Juli holen sich bunte Stieglitze die Milchsamen der verblühten Kornblumen, wie sie erzählt. Dass diese in den Augen anderer «Gestrüpp» sind, darüber kann Heuberger nur lachen. Sie berichtet, wie Scherenbienen auf ihre sechs Glockenblumenarten fliegen, Löcherbienen auf Korbblütler wie Ochsenauge und Kamille, Blattschneiderbienen auf den Kugellauch.

   Insgesamt zehn Schmetterlingsarten hat Heuberger schon gesichtet, darunter den Kleinen Fuchs, die Gamma-Eule, den Admiral, den Distelfalter und die Raupe der «Hausmutter», eines nachtaktiven Eulenfalters. Jetzt kann sie sich auch über eine «Plantsch-Amsel» freuen, wie sie ihren weiblichen Drosselgast im Vogelbad nennt.

   Die Journalistin und Naturliebhaberin ist im Landesbund für Vogelschutz und im Bund für Umwelt- und Naturschutz aktiv, betreibt ein Online-Magazin. «Mein Balkon fördert alle Insekten in der Nähe», sagt Heuberger, und man hört, wie stolz sie ist. Insgesamt 135 Arten Insekten und Vögel hätten Wissenschaftler auf ihrem Balkon bestimmt.

   Wer ein kleines naturnahes Paradies in luftiger Höhe einrichten will, muss nicht gleich 80 Pflanzenarten kultivieren. Für den Biologen und Naturgarten-Experten Reinhard Witt ist alles ganz einfach: «Bepflanzen Sie zwei Kästen mit heimischen Wildpflanzen, etwa Bergminze oder Berglauch», sagt der promovierte Regensburger
Biologe, der sich seit 35 Jahren den Wildpflanzen auf Balkon und im Garten widmet. «Von einer heimischen Wildpflanze leben ungefähr zehn Tierarten.»

   Aber nicht alles macht Sinn: Zum Beispiel bringe es nichts, Brennnesseln im Topf zu züchten, um Eier legende Schmetterlingsweibchen anzulocken. Das biologische Zusammenspiel zwischen Nessel und Schmetterlingen sei viel komplexer als kolportiert. «Pflanzen Sie lieber wilden Majoran», rät er.

   In Berlin hat Birgit Schattling seit 2015 zwei Balkone mit Wildgemüse und Wildkräutern im sechsten Stock ihrer Mietwohnung in Berlin-Wilmersdorf bepflanzt, auf vier Quadratmetern Südlage und fünf in Westlage.

   «Ich kultiviere mehr als hundert Nutz- und Wildpflanzen für den persönlichen Verzehr», sagt Schattling und erklärt: «Wildpflanzen wie Spitzwegerich und Brennnesseln haben mehr Nährstoffe.» Sie schwört auf die Wildtomate «Rote Murmel», aber sie hat auch Blutweiderich, Wasserdost und Thymian für die Schmetterlinge auf ihrem Balkon.

   Ernteglück und Naturerlebnis gehören für sie zusammen: «Eine Stockente hat bei mir gebrütet, und in diesem Jahr sind vier junge Eichhörnchen auf meinem Balkon groß geworden.» Die kleinen Nager erreichen ihren Balkon seit drei Jahren über eine Kastanie, deren Äste nur 1,80 Meter von der Brüstung entfernt sind. Tagpfauenaugen
besuchten die Kanadische Goldrute, berichtet sie, und Wildbienen den Löwenzahn oder den Grünkohl.

   Nun hat nicht jeder einen Balkon zur Verfügung, und zwei schon gar nicht. Darauf kommt es aber auch nicht an, sagt Schattling: «Man kann auch auf dem Fensterbrett etwas für die Artenvielfalt tun.»