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Arte-Doku über drei Exil-Afghaninnen in Kanada

Eine Arte-Dokumentation begleitet drei afghanische Aktivistinnen, die sich im kanadischen Exil neu erfinden müssen.

Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 gingen die Bilder der eskalierten Situation auf dem Flughafen von Kabul um die Welt. In panischer Angst vor den erwartbaren Übergriffen der Islamisten klammerten sich nach dem Abzug der beschützenden Nato-Truppen Menschentrauben verzweifelt an die Außenhaut startender Flugzeuge. Eine Arte-Dokumentation porträtiert drei einflussreiche afghanische Frauen – zwei Politikerinnen und eine Journalistin -, die sich nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung absetzen konnten.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Amie Williams begleitet die preisgekrönte kanadische Filmemacherin Aeyliya Husain die Journalistin Nilofar Moradi, die frühere Parlamentarierin Zefnoon Safi sowie Nargis Nehan, ehemalige afghanische Ministerin für Bergbau und Erdöl, in einer Langzeitbeobachtung mit der Kamera. Das Projekt ist eine Fortsetzung ihres Films “Unfinished Journey” von 2024.

Über einen Zwischenaufenthalt in Griechenland führt der Weg der drei Frauen ins Exil nach Kanada. Hier wird den Flüchtlingen der Asylstatus gewährt und ein Jahr lang eine Unterkunft für sie und ihre Familien finanziert. Der Film zeigt, wie sie während dieser Zeit mit Hilfe kanadischer Feministinnen Netzwerke knüpfen, um die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Es sei eine “moralische Pflicht”, über die Situation der Frauen in ihrem Heimatland zu berichten, sagen sie.

Diese Situation zeigt der Film aber meist nur indirekt. Kurze Rückblenden in die Zeit vor der Machtübernahme der Taliban verzichten auf Dokumentierungen grausamer Übergriffe der Islamisten. Die Ermordung der 32-jährigen Ex-Parlamentarierin Mursal Nabisada, die am 15. Januar 2023 gemeinsam mit ihrem Leibwächter erschossen wurde, wird nur mit Archivaufnahmen bebildert. Das alltägliche Leid der Frauen in Afghanistan, deren Freiheiten mehr und mehr beschnitten werden, findet sich nur in Form jener Tränen, die bei Nilofar Moradi, Zefnoon Safi und Nargis Nehan fließen, wenn sie beim täglichen Telefonat mit der Heimat von neuen Grausamkeiten erfahren.

Diese Zurückhaltung hat Strategie. Die Langzeitbeobachtung will Frauen nicht auf das Klischee des Opfers reduzieren. Stattdessen hebt die Dokumentation die politische Agenda der Exil-Aktivistinnen hervor.

Der Film dokumentiert eine Reihe politischer Aktivitäten im Exil, darunter Nargis Nehans flammende Rede bei der Gründung des feministischen Forums für afghanische Frauen in Kanada: “Während wir diese Plattform ins Leben rufen, um unsere Arbeit in Kanada fortsetzen zu können, hören wir von afghanischen Frauen, die Suizid begehen, angegriffen oder entführt werden. Es ist hart, aber wir leisten Widerstand. Die Welt hält die Taliban für hartnäckig. Aber die Frauen Afghanistans sind noch hartnäckiger”.

Man ist ergriffen von dieser Frau, die mit Tränen in den Augen spricht. Aber man fragt sich zugleich auch, wie sie und die beiden anderen den Alltag im Exil meistern. Die Frage, wie sie ihren Lebensunterhalt nach Ablauf der einjährigen Unterstützung bestreiten, wird im Film nur vage gestreift.

Den beiden Filmemacherinnen ist diese Frage offenbar bewusst. Sie beantworten sie indirekt mit Blick auf die Journalistin Nilofar Moradi, die nach ihrer Ankunft in Kanada in tiefe Depression verfiel. Nicht einmal mit ihrer Mutter konnte sie telefonieren: “Ich wusste nicht, was mit mir los ist”. Auf den Rat eines afghanischen Arztes trieb sie Sport: “Nach drei Monaten Training im Fitnessstudio war ich völlig verändert”. Das gilt auch für ihr Äußeres.

Die Dokumentation zeigt sie im Bus und im Studio – wo sie, als einzige der drei porträtierten Frauen, kein Kopftuch mehr trägt. Der Film zeigt dieses Abschütteln des Symbols, hebt diese Geste aber nicht ausdrücklich hervor. So wird indirekt deutlich, wie sensibel die Thematik selbst für Frauen ist, die leidenschaftlich gegen die Taliban opponieren. “Widerstand im Exil: Drei Frauen für Afghanistan” hat viele solcher versteckter Randbeobachtungen.

Der dicht bei seinen Protagonistinnen bleibende Film ist eine Auseinandersetzung mit Flucht, Verlust der sozialen Stellung und dem unermüdlichen Einsatz für Frauenrechte. Wer eine gewisse Geduld und ein Interesse für das Thema mitbringt, wird dafür belohnt.