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Arte-Doku über archäologische Schätze aus dem Irak

Mesopotamien oder Zweistromland: Diese Namen stehen für Kultur, erste Schriftsysteme, spektakuläre Städte und Paläste – für nichts weniger als die Wiege der Zivilisation also. Eine Doku berichtet aus dem heutigen Irak.

Es sind betörende Bilder, die man hier zu sehen bekommt: Riesige Torhüter-Statuen, geflügelte Stiere und andere Mischwesen, detailreich gestaltete, endlose Flachreliefs mit Kampfszenen, Tafeln mit Keilschrift, die kleine Figur eines Dämons. Vor Tausenden von Jahren aus dem Stein gehauen – fast zärtlich verweilt die Kamera auf den Kunstwerken der Assyrer und Sumerer. Und da, wo es (noch) keine konkreten Überreste zu bestaunen gibt, helfen überzeugende, angenehm dezente Grafiken bei der Visualisierung. Arte strahlt den Dokumentarfilm “Die geretteten Schätze Mesopotamiens” am 15. Juni, von 20.15 bis 21.45 Uhr aus.

Der Film erzählt von spektakulären archäologischen Funden Mesopotamiens, also dem Gebiet des heutigen Irak. Aber auch von der Leidenschaft der unter brütender Sonne grabenden und pinselnden Wissenschaftler – und von modernen Untersuchungsmethoden, die den Forschenden ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Über 50 internationale archäologische Teams arbeiten derzeit im Irak, der nach Jahrzehnten militärischer Konflikte endlich wieder zugänglich ist.

Der Filmemacher Olivier Julien geht strukturiert vor, stellt nacheinander die früheren Städte und heutigen Ausgrabungsstätten Ninive, Dur Scharrukin, Larsa und Lagash vor. Eine Dramaturgie, die nicht unbedingt die eine große Spannungskurve kreiert – dafür aber ein gutes, übersichtliches Gerüst bietet für die präsentierte Fülle an Informationen. Dabei stets mitlaufendes Thema sind neue technische Methoden wie geomagnetische Messungen, Satellitenaufnahmen und geografische Informationssysteme, die den Forschenden Unmengen an Daten liefern. Es komme nun darauf an, so sagt US-Archäologin Holly Pittman im Film, diese auch richtig zu interpretieren.

Zunächst zeigt Filmemacher Julien Arbeiten im Museum von Mossul; neben beziehungsweise unter der heutigen irakischen Metropole lag einst die assyrische Stadt Ninive. Hier wütete Mitte der 2010er Jahre die Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS). Auf Archivbildern ist zu sehen, wie die Dschihadisten mit roher Gewalt uralte Kulturstätten zerstören, vor Jahrtausenden geschaffene Statuen mit dem Vorschlaghammer in Stücke schlagen.

Die Doku zeigt meterlange Flächen mit kleinen, auf den ersten Blick unscheinbaren Steinbrocken: Sie werden akribisch sortiert und “wie große Puzzles” wieder zu den fünf Statuen zusammengefügt, die sie einst waren. Die Spuren der Zerstörung sollen dabei bewusst sichtbar bleiben.

Regis Vallet wiederum berichtet davon, wie ihn Kollegen damit aufzögen, “mitten im Irak Venedig entdeckt” zu haben: Das sei zwar “übertrieben. Aber nah dran!”, sagt der französische Archäologe mit einem Augenzwinkern. Er forscht in Larsa, hat dort ein komplexes Kanalsystem gefunden, das die sumerische Stadt einst mit Wasser versorgte – lange bevor die Römer ihre Aquädukte bauten.

Beeindruckende, überraschende Erkenntnisse sind es, die die Altertumsforscher zutage fördern. Und Regisseur Olivier Julien gelingt es gut, die Faszination für diese untergegangenen Kulturen zu vermitteln, die sich durch ein hohes Maß an Entwicklung auszeichneten. Das liegt an seiner konzentrierten, ruhigen Erzählweise, dem besonnenen Off-Kommentar, den sympathischen und eloquenten Archäologen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (so tritt etwa unter anderem eine Expertin für antike Wassersysteme auf), aber auch an den anschaulichen und zugleich dezenten Grafiken und Visualisierungen, einer insgesamt überzeugenden Bildsprache.

Einzig bei der recht breit eingesetzten Musik – zumeist orientalisch anmutenden Klängen – wäre weniger wohl mehr gewesen. Auch hätte man gerne mehr irakische Stimmen gehört; diese sind hier etwas unterrepräsentiert.

Dennoch: “Die geretteten Schätze Mesopotamiens” erzählt eine fesselnde, sorgfältig arrangierte Geschichte über die Wiege der Menschheit – und schlägt dabei auch den Bogen ins Heute: Die Archäologie, sagt Regis Vallet, sei elementar für das irakische Nationalbewusstsein – und nichts weniger als ein Grundstein für den Wiederaufbau des geschundenen Landes.