Millionen Argentinier sind zunehmend knapp bei Kasse. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in prekären Verhältnissen. Regierung und Opposition machen sich gegenseitig verantwortlich.
Die Armutsrate in Argentinien ist nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Volkszählungen im ersten Halbjahr 2024 auf 52,9 Prozent gestiegen. Rund 25 Millionen Argentinier leben damit in prekären Verhältnissen. Das ist der höchste Wert seit 20 Jahren.
Wie die Zeitung “La Nacion” Donnerstag (Ortszeit) berichtet, ist in der Amtszeit des libertären Präsidenten Javier Milei die Armutsrate um rund elf Prozentpunkte gestiegen. Am Ende der Regierungszeit des peronistischen Vorgängers Alberto Fernandez lag sie noch bei 41,7 Prozent. Die Katholische Universität kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und berechnet den Wert sogar mit 54,9 Prozent.
Nach Veröffentlichung der Zahlen warfen sich Regierung und Opposition gegenseitig vor, für die dramatische Lage verantwortlich zu sein. Regierungssprecher Manuel Adorni sprach von einer “Zahl, die einmal mehr die harte Realität spiegelt, die Argentinien durchlebt und die eine Folge des Populismus ist”. Die ganze Armut sei auf die wirtschaftliche und monetäre Katastrophe zurückzuführen, die der “Kirchnerismus” verursacht habe, machte Wirtschaftsberater und Parlamentarier Ramiro Marra aus dem Regierungslager die Vorgängerregierung verantwortlich.
Als Kirchnerismus wird der linkspopulistische Flügel des Peronismus um Ex-Präsidentin Cristina Kirchner bezeichnet. Die zuvor regierenden Peronisten hätten das Land in Brand gesteckt, nur um die Wahlen zu überstehen, sagte Marra der Zeitung “La Nacion”. Die Milei-Regierung habe eine Hyperinflation verhindert, die eine noch viel größere Armut verursacht hätte.
Arbeiterführer Juan Grabois, der vor wenigen Tagen noch bei Papst Franziskus war, kritisierte dagegen im Kurznachrichtendienst X die Politik Mileis, die sich in den Ergebnissen der neuen Statistik widerspiegelt, scharf: “Es ist eine moralische und soziale Verpflichtung, diese Hurensöhne zu besiegen, die innerhalb von sechs Monaten fünf Millionen Argentinier vorsätzlich in die Armut gestürzt haben.” In einer solchen Lage sei Gleichgültigkeit gleichbedeutend mit Komplizenschaft, Widerstand sei nicht genug: “Wir müssen uns auf den Gegenangriff vorbereiten.”
Auch Papst Franziskus hatte sich jüngst zur Lage in seinem Heimatland geäußert. Bei einem Treffen mit Vertretern von Volksbewegungen im Vatikan, an dem auch Grabois teilnahm, hatte das Kirchenoberhaupt kritisiert, dass die Regierung statt für soziale Gerechtigkeit für Pfefferspray bezahle und auf das Recht auf Sozialproteste verwiesen. Die linksgerichtete Zeitung “Pagina 12” kommentierte daraufhin: “Franziskus geißelt Javier Milei für Sparmaßnahmen und Unterdrückung.”
Milei regiert Argentinien seit Dezember 2023. Im Wahlkampf hatte er einen knallharten marktliberalen Reformkurs angekündigt, um das hoch verschuldete Land aus der Wirtschaftskrise und hohen Inflation zu führen. Das Land werde vor einem sehr schweren ersten Jahr stehen, danach aber würden sich die Erfolge der Reformen einstellen.
Tatsächlich gelang der Regierung eine Reduzierung der monatlichen Inflation von 25 auf zuletzt vier Prozent, erstmals seit Jahren gab es wieder Haushaltsüberschüsse, im Energiesektor wird ein Handelsüberschuss von rund vier Milliarden Euro erwartet.
Demgegenüber steht allerdings ein deutliches Anwachsen der Armutsrate auf fast 53 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 7,6 Prozent. Die starken Kürzungen im Staatshaushalt führten zu Massenentlassungen und einer Rezession. Argentiniens Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im ersten Halbjahr 2024 um 3,4 Prozent. Für Ende 2025 prognostiziert die argentinische Regierung ein Wachstum von fünf Prozent.