Argentinische Rentner gehören zu den Verlierern des knallharten Reformprogramms des libertären Präsidenten Javier Milei. Viele Betroffene suchen Unterstützung bei den Armenspeisungen der Kirche.
In die schlichten Kartons packt Ordensschwester Neca de la Reunion Brot und Äpfel. Es sind Notfallrationen für jene Senioren im Zentrum “Cura Brochero”, die einfach nicht mehr weiterwissen. “Hier ist das wahre Argentinien. Nicht die Steakhäuser, nicht die Fußballstadien, die sie immer im Fernsehen sehen”, sagt einer der Senioren, der an einem Tisch sitzt. Das Armenviertel in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires trägt den Namen “verborgene Stadt”, weil während der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 und der Diktatur von General Jorge Rafael Videla eine Mauer errichtet wurde, die den Touristen den Blick auf das Armenviertel ersparen sollte.
Argentiniens Rentner erleben schwere Zeiten. Nicht erst seit der libertäre Präsident Javier Milei mit seinem knallharten Reformprogramm das hochverschuldete Land zu sanieren versucht. Aber wegen der Sparmaßnahmen sind die Zahlen jener Senioren, die in Armut abgerutscht sind, noch einmal gestiegen.
Im Zentrum Brochero, das nach einem populären Armenpriester aus dem 19. Jahrhundert benannt ist, spürt man die Not der Betroffenen, die darum kämpfen müssen, jeden Tag etwas Warmes auf den Tisch zu bekommen. Es werden Möhren geschält, Kartoffeln gekocht. Es gibt Nudeleintopf mit Fleisch. “Für viele ist das die einzige Chance, sich satt zu essen”, sagt eine der Helferinnen, die Mahlzeiten vorbereitet und aufmunternde Gespräche mit den Bedürftigen führt.
Die Universität von Buenos Aires veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Studie, die zeigt, dass die Armut unter den Rentnern deutlich zugenommen hat. Die Armutsquote in dieser Gruppe stieg demnach von 13,2 Prozent im ersten Halbjahr 2023 auf 30,8 Prozent im gleichen Zeitraum 2024. “Diese Daten zeigen, dass einer von drei Rentnern in Armut lebt und dass im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Rentner hinzugekommen sind”, heißt es in der Studie. Aktuellere Zahlen liegen den Angaben zufolge noch nicht vor. Das Problem: Die Lebenshaltungskosten sind deutlich gestiegen, nicht aber die Renten. Lebensmittel werden dadurch immer teurer. Die Katholische Universität der Hauptstadt hat indes vorgerechnet, dass die Gesamt-Armutsrate nach einem zunächst steilen Anstieg Mitte des Jahres inzwischen wieder spürbar rückläufig ist.
Doch die Senioren zählen zu den Verlierern des Reformkurses. Das sagt auch der Vorsitzende der Argentinischen Bischofskonferenz, Erzbischof Marcelo Daniel Colombo, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “In der vergangenen Woche wurden beispielsweise durch eine Regierungsverordnung die Menge und die Art der Medikamente drastisch reduziert, die von der Sozialversicherung für Rentner zur Verfügung gestellt werden.”
Überhaupt seien die Ärmsten der Armen diejenigen, die den höchsten Preis für die “wirtschaftliche Neuordnung” im Land zahlen müssten, kritisiert der Erzbischof. “Ich spreche von den Rentnern, von Menschen ohne feste Arbeit – von all jenen, die immer noch keinen Zugang zu einem Minimum an Einkommen haben.”
Und um genau diese Menschen kümmern sich die Ordensschwestern im “Centro Brochero”. Wenn die Kartons gepackt sind, gehen sie durch die engen Gassen des Viertels. Viele von ihnen so schmal, dass Autos dort nicht hindurchpassen. Die meisten, die hier leben, können sich ohnehin kein eigenes Auto leisten. Sie setzen auf die kleinen Minibusse oder auf Mofas. Wenn die Schwestern irgendwo anklopfen, schauen sie in dankbare Gesichter. Sie helfen den Menschen, die schon seit Jahren in tiefer Armut leben – und deren Leid einst von einer Mauer vor der Weltöffentlichkeit verborgen werden sollte.