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Erkenntnis statt Tränen: ARD-Doku über Daniel Küblböck

Wenige Menschen stehen so exemplarisch für die TV-Ära der frühen 2000er wie Daniel Küblböck. Eine Doku-Serie widmet sich dem Leben und frühen Sterben der Trash-Ikone.

Daniel Küblböck bei einem Auftritt 2003
Daniel Küblböck bei einem Auftritt 2003Imago / BRIGANI-ART

“Konnte nicht singen, hatte aber Charisma.” Das Urteil von Thomas Stein – Musikmanager und Juror der RTL-Show “Deutschland sucht den Superstar” – über Daniel Küblböck hatte Gewicht. Der erste Kandidat, der mit seiner Gitarre zum Casting erschien, kam eine Runde weiter und wurde im Finale schließlich nur Dritter. Aber eigentlich war Küblböck der Sieger, der damals 16-Jährige aus Eggenfelden in Niederbayern.

Denn was dann passierte, war eine Instantkarriere. Wie, warum, mit welchem Verlauf und mit welchem Ende, das berichtet die dreiteilige Doku-Serie “Die Küblböck-Story – Eure Lana Kaiser”. Das Leben des Daniel Küblböck – später Lana Kaiser – wird aus der Perspektive von Familie, Freunden und Freundinnen, von Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern und von Entertainern wie Riccardo Simonetti erzählt. Wenn ein Mensch mit knapp 33 Jahren unfreiwillig von einem Kreuzfahrtschiff Richtung New York stürzt oder freiwillig in den Atlantik springt, dann ist das ein Drama. Und wenn dieser Mensch ein Star war oder ist, dann ist das noch mehr Drama. Und wenn der Mensch Daniel Küblböck – später Lana Kaiser – hieß, dann ist das ein Superdrama.

Daniel Küblböck und der Umgang mit Intimsphäre im Fernsehen

Eine Doku-Serie, die eine solche Steigerungsform in den Blick nimmt, ist dabei in allerhöchster Gefahr, dieses Leben in einen permanenten Tränenflor zu packen. Aber diese hier tut es nicht. Sie sucht die – auch intime, nicht aber die übergriffige Aneignung. Wer je nach dem Unterschied zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem kommerziellen Fernsehen gesucht hat, wird ihn hier sehen.

Es gibt da eine entlarvende Sequenz. Daniel Küblböck hatte einen Autounfall verursacht und lag im Krankenhaus. RTL – stets bemüht, den “DSDS”-Hype fortzuführen – machte eine Liveschalte zum Krankenbett, Promi-Besuch und Interview inklusive. Ein Eingriff in die Intimsphäre – mit oder gegen seinen Willen. Klar, wer von der Öffentlichkeit profitieren will, der muss ihr Opfer bringen, lautete offenbar die Devise.

Küblböck Autobiografie: Spiegel seiner persönlichen Wahrheit

Deutschland suchte Anfang der Nullerjahre den Superstar und fand ihn in Daniel Küblböck. Die RTL-Castingshow eröffnete eine neue TV-Ära, Social Media ein neues mediales Reiz-Reaktions-Muster – und Daniel Küblböck brachte die queere Persönlichkeit ins große Publikum. Als queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt. Wer ihn, der eigentlich Kinderpfleger lernen wollte, in seinen öffentlichen Auftritten erlebt, erkennt viel Wahrheit in dem, was Küblböck in seiner Autobiografie “Ich lebe meine Töne” geschrieben hat: “Ich werde mich selbst leben.”

Sänger Daniel Küblböck stellt 2003 sein Buch "Ich lebe meine Töne" vor
Sänger Daniel Küblböck stellt 2003 sein Buch "Ich lebe meine Töne" vorImago / Marion Vogel

Aus dieser Autobiografie wird auch in der Doku immer wieder zitiert. Die Gesprächspartner gehen vom Vater über die Partner bis hin zu prominenten Lebensbegleitern. Dieter Bohlen, der “DSDS”- und Daniel-Küblböck-Macher, fehlt allerdings. Ob er nicht wollte? Der Film macht da keine Aussage. Jedenfalls entfaltet sich ein Leben aus schwieriger Kindheit, steiler Karriere, harten Umstiegen und wachsender Ratlosigkeit. Zwischen Mallorca und Berlin, zwischen Gesangs- und Schauspielausbildung, zwischen neuen Partnern und neuer Familie – dank Erwachsenenadoption. Und natürlich zwischen Daniel Küblböck und Lana Kaiser.

Fanliebe und Hass: Ambivalente Wahrnehmung von Daniel Küblböck

Die Journalistin und Autorin Anja Rützel sieht in Daniel/Lana “eine ikonische Figur der jüngeren Mediengeschichte, weil sich an ihm/ihr so viel ablesen lässt”. Bis heute umschwärmt von den “Faniels”, für andere eine “unfassbare Provokation”, angegeifert von unfassbar viel Hass. “Ich gehöre nur mir”, betonte Küblböck immer wieder. Entertainer Riccardo Simonetti sagt, für ihn sei “die Geschichte von Lana immer eine Empowerment-Geschichte” geblieben. Dragqueen Olivia Jones erinnert sich: “Daniel war überall: 24 Stunden lang Daniel Küblböck. Und damit muss man als junger Mensch erst mal umgehen können. Das habe ich sehr an ihm bewundert, diese Kraft, diesen Mut.”

In diesem Ton gehen die drei Teile voran: Sympathie, Anteilnahme, ja Liebe drücken sich aus, und Stück für Stück setzt sich so eine besondere Biografie zusammen. Erkenntnis- , aber nicht tränenreich. Vielleicht war die “positive Energie”, die Küblböck immer angetrieben hatte, irgendwann aufgebraucht. Lana Kaiser wäre in diesem Herbst 40 Jahre alt geworden.