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An der Wiege Brandenburgs – Radtour durch das Havelland

Dafür, dass der Osten mit Religion wenig am Hut haben soll, stehen in Brandenburg an der Havel und drumherum ziemlich viele Kirchen und Klöster. Wer mag, lernt außerdem kennen: eine versunkene Sprache und seltene Tiere.

Eine gewisse Wortkargheit wird den Menschen im Bundesland Brandenburg gern unterstellt. Im Dom Sankt Peter und Paul der namensgebenden Stadt Brandenburg an der Havel lässt sich derlei jedoch nicht feststellen. Im Gegenteil: Ausgesprochen freundlich fällt der Empfang in der imposanten Kirche aus, die mit ihrer über 850-jährigen Geschichte ein frühes Juwel der nordeuropäischen Backsteingotik ist. Ein gutes Omen für die bevorstehende Radtour im Havelland, die bis nach Potsdam führen wird.

Bei einer Spontanführung durch den Brandenburger Dom wandert der Blick nach oben zum mächtigen Gewölbe mit seinen Drolerien, wie die in schwindelnder Höhe gemalten Fratzen genannt werden. Im Rücken: die prächtige Barockorgel von Joachim Wagner. Vorn: das Chorgestühl von 1539. Links davon, im südlichen Querhaus der Böhmische Altar, ein Meisterwerk aus dem 14. Jahrhundert. Wenige Schritte entfernt lässt ein reich verziertes Epitaph innehalten.

Die Gedenktafel erinnert an die Verstorbenen der Familie von Katte. Das Wappentier, eine Katze mit Maus im Maul, ist in der Mitte gut zu erkennen. So, wie das preußische Königshaus dem Dom in Brandenburg eng verbunden war, hielten es die von Kattes mit dem preußischen Königshaus. Für einen von ihnen ging die Geschichte allerdings tragisch aus. Hans Hermann von Katte. Ihn ließ Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. 1730 hinrichten – vor den Augen seines eigenen Sohnes und Thronfolgers. Friedrich, späterer Beiname “der Große”, war mit Katte befreundet und hatte ihn in seinen Plan eingeweiht, vor dem gewalttätigen Regiment des Vaters zu fliehen.

Eine düstere Geschichte, die so gar nicht zum heiteren Wetter draußen vor den Türen des Domes passen will. Letzte Frage an die Dame vom Empfang: Wo sind denn gleich die in Brandenburg heimischen Waldmöpse zu finden? Durch das Portal, nach links und dann durch den Torbogen beim Hotel, lautet die Ansage. Tatsächlich: Da steht eine der rund 50 Zentimeter großen Bronzefiguren, die den Humoristen und gebürtigen Brandenburger Loriot sowie das von ihm ersonnene Fabeltier ehren. “Nach Meldungen und eigenen Recherchen wurden bisher über 25 ausgewilderte Waldmöpse in den 3 historischen Stadtkernen gesichtet”, teilt das Tourismusbüro mit.

Mopssuche fortsetzen? Einen Kaffee an der Havel trinken? Zurück in den Dom für einen Rundgang durch das Museum? Der Radfahrer läuft Gefahr, sich bereits zu Beginn seiner Tour zu verzetteln. Ein Abstecher muss aber noch sein: in die Kirche Sankt Katharinen. Backsteingotik in Brandenburg, Teil zwei. Hier findet sich eine besondere Rarität: ein in eine Nische eingelassener und über 500 Jahre alter “Sakristeischrank”. Der hölzerne “Einbauschrank für Sakrales” blieb auch nach der Reformation im Einsatz, als Sankt Katharinen protestantisch wurde.

Nun aber los – an Feldern und Wasserläufen entlang Richtung Kloster Lehnin. Wieder Backsteingotik, diesmal in Gestalt eines ehemaligen Zisterzienserklosters. Heute wird das Areal auf verschiedene Weise genutzt. Ein Hotel und ein Museum gehören dazu, zudem ein Hospiz für schwerkranke Menschen. Im Zentrum: die Klosterkirche. Sie gehört, wie die meisten anderen Gebäude, zum Besitz des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin-Teltow-Lehnin.

Blühende Obstbäume, saftig grüne Wiesen und das helle Rot der Backsteinbauten lässt der Radler hinter sich, um den Wegweisern nach Werder zu folgen. Es geht nun durch Wald und märkischen Sand. Letzterer macht den Tritt mitunter schwerer. Da kommt die Infotafel vor dem abgeschiedenen Schampsee als Zwischenhalt gerade recht. Der Name geht demnach zurück auf das polabische Wort für “knapp” und bezog sich möglicherweise auf die geringen Fischereierträge des gut sieben Hektar großen Gewässers.

Das Polabische, Sprache der früher in der Region ansässigen slawischen Bevölkerung, ist längst ausgestorben. Ähnlich ausgestorben wirken die Wege, die hier durch den Forst führen. Lebendig wird es eigentlich erst wieder in Werder. Auch hier ist die Kirche ein Blickfang. Auf einer Insel in der Havel steht sie – und vor ihr stehen gerade Besucher Schlange. Hits von Guns ‘n Roses und den Rolling Stones werden gleich geboten. Könnte also etwas lauter werden.

Auf dem Friedhof nebenan fällt eine Grabstätte mit einer verhüllten, offenbar in Trauer versunkenen Figur ins Auge. Sie erinnert an sieben junge Frauen und Männer aus Werder, die gegen das kommunistische Regime in der frühen DDR protestierten und 1952 in Moskau hingerichtet wurden. “Sie wollten nur Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit!”, steht auf der Grabplatte. Ein Stück deutsch-deutscher Geschichte, das beklommen macht.

Das letzte Stück des Wegs führt fast ausschließlich auf asphaltierten Radwegen am Wasser entlang. Die Dichte an E-Bikes und Lastenrädern nimmt zu – willkommen in Potsdam, der Landeshauptstadt von Brandenburg! War Brandenburg an der Havel sozusagen eine Wiege Preußens, so wurde Potsdam zu dessen Herzkammer. Schloss Sanssouci – mehr Preußen geht nicht. Standesgemäß soll die Tour jedoch an einem Sakralgebäude enden. Letzter Stopp ist darum die von Baumeister Karl Friedrich Schinkel entworfene Sankt Nikolaikirche mit ihrer 78 Meter hohen Kuppel. Klassizismus statt Backsteingotik.