Es wird rezitiert, meditiert, und man lässt gefangen gehaltene Vögel frei. An Vesakh, dem höchsten buddhistischen Feiertag, geht es um Gemeinschaft und das Wohl aller Lebewesen – trotz mancher Verschiedenheit.
Ob im stillen Gebet oder knallbunt: Auf der ganzen Welt wird am Donnerstag (23. Mai) das Vesakh-Fest gefeiert. In der ersten Vollmondnacht im Mai findet dieser höchste buddhistische Feiertag aller buddhistischen Richtungen statt. Ein noch recht junger Feiertag, den die Vereinten Nationen 1999 anerkannten – offiziell als “Internationalen Tag des Vesakh”; in Anerkennung an den Beitrag, den die Weltreligion zu einer “Spiritualität der Menschlichkeit” leiste.
In vielen asiatischen Ländern finden farbenfrohe Prozessionen zu Tempeln und Schreinen statt. Die Wurzeln der buddhistischen Traditionen sind unterschiedlich – so auch die Feste, die gefeiert werden. Allen gemein ist die bewusste Suche nach Gemeinsamkeiten. Gute Vorsätze gilt es in die Tat umzusetzen: Bedürftigen helfen oder den Umgang mit Tieren zu hinterfragen.
Das Fest erinnert an die Geburt von Siddharta Gautama (Buddha), seine Erleuchtung unter dem heiligen Feigenbaum, seinen Tod und den damit verbundenen Übergang ins Nirwana. Im buddhistischen Glauben bedeutet dies den Austritt aus dem Kreislauf des Leidens in den Zustand der Vollkommenheit. Am Vesakh-Fest geht es darum, sich die fünf “Silas”, die sittlichen Gebote des Buddhismus, vor Augen zu halten: keine Lebewesen töten oder verletzen, nicht stehlen, keine unheilsamen sexuellen Beziehungen pflegen, nicht lügen oder unheilsam reden und keine Rauschmittel konsumieren.
Der Buddhismus zählt zu den großen Weltreligionen, unterscheidet sich aber von sogenannten Glaubensreligionen wie dem Christentum, Judentum oder Islam. Buddhas Lehre ist im Gegensatz dazu die einer Erfahrungsreligion, eine “Lehre des Geistes”.
Demnach ist es für jeden Menschen möglich, Erleuchtung zu erfahren. Es geht weniger um Vorschriften und vielmehr darum, diese kritisch zu hinterfragen. Immer stehen das Tun, die eigene Erfahrung im Mittelpunkt und die Übernahme von Selbstverantwortung.
Praktische Anwendung findet der Buddhismus zum Beispiel in Otterberg bei Kaiserslautern im Shaolin Temple Europe, einem buddhistischen Kloster. Der dort lehrende Shaolin-Meister Shi Heng Yi verweist in seinem Buch “Shaolin Spirit” auf die enge Verzahnung mit der buddhistischen Lehre, insbesondere mit dem Zen-Buddhismus: Er ist das Fundament der Shaolin-Tradition. Hier geht es in Training und Meditation darum, den eigentlichen Wesenskern eines Menschen zu erkennen.
“Durch Identifizieren entsteht Trennung, durch jedes gesprochene Wort entsteht Trennung”, erklärt Shi Heng Yi. Es sei nicht möglich, mit Worten zu beschreiben, worin der Mensch eingebettet sei; daher gebe es im Buddhismus Traditionen des Schweigens. Für den Shaolin-Meister sind auch christliche Schweigeklöster oder Schweige-Exerzitien sinnvoll: “Die Wahrheit, das Leben in Worten auszudrücken – das geht nicht. Eventuell drückt sie sich einfach aus in der Wahrnehmung.”
Die Idee hinter dem Schweigen ist in beiden Religionen ähnlich: eine Zeit ohne Worte. Der bewusste Verzicht auf Austausch, Sprechen und Außenkontakt – bis hin zum “Außer-sich-sein”. Bereits im Mittelalter schrieb der Mönch Bernhard von Triest: “Erst wenn der Lärm verstummt ist, kommt die innere Stimme zu Gehör.”
Wenn Menschen heutzutage eine Auszeit im Schweigekloster buchen, suchen sie oft Ähnliches: in Kontakt kommen mit sich selbst, sich verbunden fühlen. Ob mit dem Leben an sich, einer höheren Instanz oder natürlich auch mit Gott. Dieses Element taucht sowohl in christlichen als auch buddhistischen Traditionen immer wieder auf.
Am schwersten falle wohl das Loslassen – wie in anderen Lebensbereichen auch, sagt Shi Heng Yi. Es betreffe nach buddhistischer Vorstellung verschiedene Ebenen: “Es beginnt mit dem Loslassen von Ideen, von materiellen Gütern; dem, was man aufgebaut hat, guten Freunden, Menschen oder Tieren, die man geliebt hat – und eines Tages kommt das Loslassen vom dem größten aller Projekte, was man geschaffen hat: nämlich sich selbst.”