Warum wird in England zu Weihnachten wie wild gejagt und Fußball gespielt? Und: Warum heißt der Tag dann aber ausgerechnet “Boxing Day”? Fragen über Fragen – die die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet.
Man schätzt die Briten für ihre Schrulligkeit – und für die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre eigenwilligen Traditionen zelebrieren. Ein feines Beispiel dafür ist der “Boxing Day”, der in anderen Ländern so viel weniger spektakulär heißt: Zweiter Weihnachtstag etwa bei uns; bei unseren Nachbarn Stefani-Tag oder Sint-Stefanus, in Erinnerung an den Tod des heiligen Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, der laut der Überlieferung im Jahr 34 von wütenden Zuhörern gesteinigt wurde.
Warum also “Boxing Day”? Nun – da geht es keineswegs ums Boxen, sondern um jene Schachteln, englisch “box”, die früher für eine hübsche Tradition verwandt wurden: Nachdem am Weihnachtstag innerhalb der eigenen Familie beschert worden war, bekamen am “Boxing Day”, dem 26. Dezember, Bedienstete, Boten und Lieferanten ihre Weihnachtsgeschenke überreicht – in Schachteln; heute dann eher in Form von Trinkgeld.
Wer will, kann dieses Brauchtum immerhin auch noch mit dem heiligen Stephanus zusammenbringen: Er war nämlich als römischer Diakon zuständig für die Armen und Bedürftigen. Daraus entstand auf der Insel der Brauch, am Stephanstag die Opferstöcke in den Kirchen zu öffnen und das gesammelte Geld als Almosen an die Armen zu verteilen.
Während die Bedeutung des Stephanstages für Almosen und Wohltätigkeit anderswo in Europa zusammenbrach, so meinen Kulturhistoriker, sei sie im protestantischen England bestehen geblieben. Dort seien durch die Reformation viele Feiertage verloren gegangen. Wohltätige Aktionen, die früher entlang dem Kirchenjahr verstreut gewesen waren, seien auf diesen einen, den Stephanstag, gebündelt worden.
Es gibt einen weiteren alten Brauch, der fest mit Weihnachten und dem Jahreswechsel zusammenhängt: das “Wassail Singing”. Dabei zieht man um die Weihnachtszeit von Haus zu Haus oder zu Obstbauern, um mit Segensliedern (“Carol Singing”) und Tanz (“Morris Dancing”) den Bewohnern Gesundheit und eine gute Ernte für das nächste Jahr zu wünschen. Natürlich erhoffte man sich dafür – die Landwirtschaft und also auch Einkunftsmöglichkeiten ruhten ja im Winter – auch einen Apfel oder ein Heiß- oder Kaltgetränk zu ergattern.
“Wassail”, so heißt denn auch ein heißes Würzgetränk – wobei der Name wohl vom altenglischen “Waes hail!” stammt: zum Wohl! Bis heute können am “Boxing Day” durchaus schon mal die Luftschlangen ausgepackt werden – eine vergleichsweise heftige Fröhlichkeit. Immer wieder versuchten Fürsten und Regierungen (vergeblich), solchen Feierbräuchen durch Verbote beizukommen, etwa der puritanische “Lordprotektor” Oliver Cromwell Mitte des 17. Jahrhunderts.
Wohl im 18. Jahrhundert wurde der “Boxing Day” zu einem Tag für aristokratische Sportarten – Jagen, Pferderennen und Schießen – und bald auch für das gemeine Volk zu einem Tag der Outdoor-Aktivitäten. Während man am Ersten Weihnachtstag zu Hause Zeit mit der Familie verbrachte, ging es am Zweiten Weihnachtstag an die frische Luft, um der Enge zu entfliehen. Ein Spaziergang im Grünen.
Urbanisierung und Industrialisierung brachten ab dem 19. Jahrhundert dann sogar Fußball und Rugby in die Weihnacht der Arbeiterklasse. Der “Boxing Day” wurde zu einem wichtigen Datum im Profi-Fußballkalender – und zuweilen zu einem Synonym für Faulenzen auf dem Sofa oder “Binge-Watching” von Filmen.
Eine bislang letzte Weiterentwicklung erfuhr der Zweite Weihnachtstag Ende der 1990er Jahre, als die Regierung John Major die Gesetze zum Sonntagsverkauf liberalisierte. In der Folge ist der “Boxing Day” heute vielfach ein verkaufsoffener Feiertag, der eine ähnliche Rolle spielt wie der “Black Friday” oder der “Super Saturday”, der Samstag vor Weihnachten, in den USA.
Regelrechte Rabattschlachten sorgen für lange Schlangen schon vor der Ladenöffnung. Mancher Händler macht an diesem Tag den stärksten Umsatz im ganzen Jahr. Und wenn der Kunde nach dem Kampf mit all seinen Schachteln nach Hause fährt, dann schließt sich auch der Kreis der Begrifflichkeiten: “Boxing Day” eben.