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Afrikas vergessene Krisen

Afrika, der Krisenkontinent? Dieses Bild wird oft als Klischee kritisiert. Doch ein Bericht stellt fest: Viele humanitäre Katastrophen auf dem Kontinent schaffen es gar nicht erst in die Schlagzeilen.

In Angola stellen die Privilegierten ihren Reichtum gern zur Schau. Bilder aus der Hauptstadt Luanda zeigen die Strandpromenade, mehrspurige Straßen und Wolkenkratzer. Die Oberschicht des Landes mit 35 Millionen Einwohnern profitiert vom Ölreichtum. Isabella dos Santos, Tochter des einstigen Präsidenten Jose Eduardo dos Santos, galt laut Forbes-Magazin mit einem Vermögen von mehr als zwei Milliarden US-Dollar einst als reichste Frau Afrikas – bis ihr Vermögen in mehreren Ländern eingefroren wurde. Mit Nigeria liegt Angola regelmäßig im Wettbewerb, wer der größte Rohöl-Lieferant südlich der Sahara ist.

Gleichzeitig sind nach Einschätzung des Kinderhilfswerks Unicef 7,3 Millionen Menschen und damit jeder Fünfte in Angola auf humanitäre Hilfe angewiesen. Laut Weltbank haben fast 53 Prozent der Bevölkerung weniger als 3,65 US-Dollar täglich zur Verfügung. Die Lebensbedingungen auf dem Land sind weitaus schlechter als in der Stadt. Angola sei ein Land “mit großer Ungleichheit”, worüber so gut wie nicht berichtet werde, so der am Donnerstag veröffentlichte “Breaking the Silence Report” der Hilfsorganisation Care über zehn humanitären Krisen in Afrika, die 2023 keine Schlagzeilen machten. Auf Platz eins: Angola.

Kaum Berichterstattung gibt es demnach auch über Gewalt, Hunger und Armut in Malawi, der Zentralafrikanischen Republik, Sambia, Tschad, Burundi, Simbabwe, Mali, Kamerun und Niger. In Kamerun etwa toben im Norden wie im Süden unterschiedliche Konflikte. In den anglophonen Regionen im Südwesten des Landes töteten seit 2016 Separatisten wie Sicherheitskräfte der Regierung mehr als 6.000 Menschen. Auch Kirchen wurden mehrfach angegriffen. Mit Entführungen erpressen Separatisten Lösegeld.

Im ganzen Land sind nach Einschätzung von UN-Organisationen knapp 2,2 Millionen Menschen auf der Flucht, wozu im Norden Angriffe der Terrorgruppe “Islamischer Staat in der Westafrikanischen Provinz” (ISWAP) beitragen, die sich 2016 von der nigerianischen Miliz Boko Haram abgespalten hat. In einem Artikel im US-Magazin “Foreign Politics” kritisiert auch Folahanmi Aina von der Londoner Denkfabrik Royal United Services Institute, dass die Krise nicht die nötige internationale Aufmerksamkeit bekomme. 2024 könnte sie weiter eskalieren.

Aber auch das im Bericht nicht aufgelistete Burkina Faso schafft es nur selten in die Schlagzeilen, obwohl der Sahelstaat die höchste Zahl an Binnenflüchtlingen hat. Rund zwei Millionen Menschen haben ihre Dörfer verlassen aus Angst vor Überfällen durch Terrorgruppen, die El-Kaida und dem “Islamischen Staat” nahestehen. Das wirkt sich katastrophal auf die Bildung aus. Am Mittwoch veröffentlichte die Übergangsregierung, seit zwei Staatsstreichen 2022 an der Macht, einen Bericht zu Schulschließungen. Mehr als 5.300 Schulen bleiben wegen der unsicheren Lage dicht.

Die langfristigen Auswirkungen lassen sich nur erahnen. Experten befürchten, dass die Alphabetisierungsrate wieder sinkt – was wiederum Job-Chancen mindert. Dabei leben schon jetzt mehr als 8,8 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze und haben weniger als 1,90 Euro täglich zur Verfügung. Unter der Militärregierung leiden auch Meinungs- und Pressefreiheit. Im Herbst versuchte die Führung, Oppositionspolitiker und bekannte Mitglieder der Zivilgesellschaft für den Militärdienst zu rekrutieren.

Die Liste der Krisen, die so gut wie keine Beachtung finden, lässt sich fortsetzen. In Nigerias Mega-City Lagos, die Wissenschaftlern der Universität Toronto zufolge im Jahr 2100 mit mehr als 80 Millionen Einwohnern die größte Stadt weltweit sein könnte, gibt es schon jetzt mehr als 140 Slums. Nach Angaben der dortigen Regierung gelten 80 Prozent der Haushalte als arm. 2023 belasteten der Wegfall von Benzinsubventionen und wochenlange Bargeldknappheit diese Haushalte ganz besonders. Initiativen entstanden, um beispielsweise städtisches Gärtnern zu fördern.

Und auch der Klimawandel hinterlässt Spuren. Ab Ende 2020 erlebten die Länder am Horn von Afrika laut UN-Organisationen und Hilfswerken die schwerste Dürre der vergangenen 40 Jahre. Darüber wird zwar berichtet, doch nur selten über die langwierigen Folgen. Verenden etwa aufgrund einer Dürre die Tiere, verlieren Viehhalter ihre Lebensgrundlage und sind oft dauerhaft auf Hilfe angewiesen. Ein Ausweg zurück zu einem gesicherten Leben gelingt so gut wie nie.