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80 Jahre Befreiung von Sandbostel: Redner mahnen Erinnerung an

Niedersachsens Kulturminister Falko Mohrs (SPD) hat zu einer engagierten Bewahrung der Erinnerung an die NS-Verbrechen aufgerufen. „Nationale und internationale Umdeutungen der NS-Verbrechen, ein Erstarken von Antisemitismus weltweit, demokratiefeindliche Kräfte in Parlamenten und zunehmendes Unwissen und Desinteresse – die Erinnerung an den Holocaust, an die Verbrechen der NS-Herrschaft sehe ich gleich mehrfach in Gefahr“, mahnte er 80 Jahre nach der Befreiung am Dienstag in der Gedenkstätte des früheren Lagers Sandbostel.

Es reiche deshalb nicht, die Forderung „nie wieder ist heute“ aufzustellen, betonte Mohrs. „Für uns als Landesregierung ist es daher ein wichtiges Anliegen, die Arbeit der Gedenkstätten zu sichern, Forschung zu fördern und zivilgesellschaftliches Engagement zu unterstützen.“

Im niedersächsischen NS-Lager Sandbostel waren insgesamt mehr als 313.000 Kriegsgefangene aus über 55 Nationen interniert, darunter mehr als 70.000 Soldaten der Roten Armee. Tausende Gefangene starben an Hunger und Krankheiten. Noch kurz vor der Befreiung kamen rund 9.500 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern nach Sandbostel.

Der Stader Regionalbischof Hans Christian Brandy zitierte aus den Erinnerungen des ehemaligen Häftlings Robert Heins: „Tote und Kranke lagen oder krochen überall unter. Die Kameraden, die vor uns da waren, erzählten, dass sie seit ihrer Ankunft nicht zu essen gehabt hatten.“ Brandy unterstrich laut Manuskript: „Es gibt viele solche Berichte. Und es ist nötig, sie zu erinnern.“ Das gelte heute mehr denn je, betonte der evangelische Theologe. „Denn was wir an offener Infragestellung der Grundlagen und Grundwerte unserer Demokratie und unseres freiheitlichen Rechtsstaates erleben, das hat eine neue Qualität erreicht.“

Besonders unter den AfD-Anhängern sei der Wunsch verbreitet, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, sagte Brandy. „Wer eine demokratische, freiheitliche und offene Gesellschaft will, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst bleibt, kann diese Partei nicht wählen.“ Es sei vielmehr wichtig, insbesondere jungen Menschen gegenüber die Erinnerung wachzuhalten. Deshalb sei es gut, dass in Sandbostel in den vergangenen Jahrzehnten eine „vitale Erinnerungs- und Erzählkultur“ erstanden sei, durch die Gedenkstätte, die als „Friedensort“ auch von der hannoverschen Landeskirche gefördert werde.

Nach Angaben von Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann sind es auch Angehörige der damals inhaftierten Menschen in zahlreichen Ländern Europas, die bis heute die Erinnerung lebendig halten. Viele von ihnen hatten sich auch für die Gedenkveranstaltung angesagt.