Am 4. Juli 2025 feiert “Radio Free Europe” sein 75-jähriges Sendejubiläum – doch der alternativen Medienstimme in Osteuropa droht das Aus. Nicht nur eine Exiljournalistin sieht das kritisch.
Ein gefährlicher Salzstreuer steht 1959 in der Kantine des Senders. Niemand ahnt, dass der Inhalt vergiftet ist. Stattdessen unterhalten sich die Redakteure – auf Ungarisch, weitere auf Polnisch, wieder andere auf Bulgarisch; unbekümmert essen sie von ihren weißen Porzellantellern. Ein Anschlag auf die Mitarbeiter von “Radio Free Europe” (RFE) während der Mittagspause, unweit des Englischen Gartens in München.
In dieser Cafeteria saß später auch häufig Jenny Georgiev-Keiser. Die heute 79-jährige Münchnerin emigrierte 1977 mit ihrer Familie aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia, um der Unterdrückung im Land zu entkommen. Ihr Vater musste mehrere Jahre lang Zwangsarbeit in einem Arbeitslager leisten, ihre Mutter war der autoritären Regierung als kritische Journalistin ein Dorn im Auge. In Deutschland angekommen, arbeitete Tochter Jenny zunächst für die Deutsche Welle und wechselte dann in die bulgarische Redaktion von RFE.
Die Berichterstattung des Senders, die die Zensur der Kommunisten umging, war vielen ein Dorn im Auge. Die Osteuropahistorikerin Anna Bischof hat über viele Jahre an der Ludwig-Maximilians-Universität zu RFE geforscht. Sie erklärt: “Seine Gegner warfen dem Sender vor, ein Propagandainstrument der USA zu sein, verbunden mit dem Vorwurf ‘kriegstreiberischer Hetze’. Dabei waren viele der Redakteurinnen und Redakteure selbst aus den sozialistischen Staaten emigriert – und hatten dort politische Repressionen erlebt.”
Den Vorwurf, dass RFE eine Marionette der US-Regierung gewesen sei, teilt Georgiev-Keiser nicht, aber “nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Sender mit finanzieller Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA gegründet wurde”. Seit 1972 aber erhielt der Sender aus dieser Quelle kein Geld mehr. Zudem habe sie in der Umsetzung von Themen innerhalb ihres Teams große Freiheit genossen, berichtet sie weiter.
Das deckt sich mit der Einschätzung der Osteuropahistorikerin: “RFE wurde als Instrument der psychologischen Kriegsführung gegründet. Bis heute sind die Radios – RFE wurde 1976 mit dem US-Auslandssender Radio Liberty zusammengelegt – ein wichtiges Soft-Power-Instrument der USA. Anfang der 50er Jahre sendete RFE zunächst unter anderem politische Kampagnen.” Bezüglich dieser Zeit könne man durchaus von Propaganda sprechen, so Bischof. Denn teilweise seien auch stark verzerrte oder falsche Informationen gesendet worden.
Anschließend habe sich der Sender aber stark verändert – und hohe Standards entwickelt, was die Korrektheit von Fakten und die journalistische Qualität betrifft. Spätestens in den 1970er Jahren habe sich RFE als journalistisches Medium etabliert, sagt Bischof. Das war die Zeit, in der Georgiev-Keiser für das Radio arbeitete.
Die Kritik kam indes nicht nur von linken Gruppen im Westen. Auch sozialistische Regierungen im Osten unternahmen viel, um die Redakteure einzuschüchtern, erinert Bischof: “Dazu schleusten sie unter anderem gezielt Geheimdienstler in die Münchner Belegschaft ein – zur Spionage, und wie im Falle des vergifteten Salzstreuers, um Anschläge zu verüben.” Offiziell sei nie abschließend aufgeklärt worden, wer das Salz vergiftet hatte: “Aber Spuren deuteten auf einen Mitarbeiter der tschechoslowakischen Redaktion hin. Dieser hatte sich aber schlussendlich doch gemeldet und so verhindert, dass jemand durch das Gift zu Schaden kam.”
Wen der Sender in Zukunft noch erreichen wird, ist spätestens seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump nicht mehr sicher. Dieser hatte im Zuge einer der massivsten Kürzungen der US-Geschichte auch Gelder in Höhe von mehr als 80 Millionen Dollar für RFE eingefroren. Diese hatte der Kongress bereits bewilligt. Zwar hat ein US-Gericht den präsidialen Bescheid vorerst gestoppt, und die EU ist mit einem Betrag von etwa 5,8 Millionen Euro eingesprungen. Hinzu kommt jedoch, dass zuletzt über 600 Mitarbeiter im Bereich der Auslandsmedien wie RFE entlassen worden sind – ein weiterer Schlag gegen die freie Presse.
“Trump scheint innerhalb nur weniger Monate das zu erwirken, was die Gegner der Radios über Jahrzehnte mit allen Mitteln versuchten, aber niemals erreichten”, so Bischof. Georgiev-Keiser betont aber: “Wir sind lange noch nicht so weit, um die Radios einzustellen”. Denn es gebe “noch so viel zu tun in den Ländern des Sendegebiets – für Freiheit, Demokratie und Umweltschutz.”
Ein Dreivierteljahrhundert lang war das Radio eine alternative Stimme in Osteuropa. Nun droht das Aus wegen eines präsidialen Bescheids – ausgerechnet aus jenem Staat, der es einst gegründet hat und dessen zentrale Werte es bis heute im Ausland vertritt.