Millionen für Afrika – doch 40 Jahre nach dem Live-Aid-Konzert bleibt neben grandiosen Musik-Momenten ein schales Gefühl. Die Frage bleibt aktuell: Wer prägt den Blick auf den Kontinent?
Vor 40 Jahren wurde ein Konzert zum Symbol weltweiter Hilfsbereitschaft – doch inzwischen ist klar: Die Geschichte ist komplizierter. Als vor gut zehn Jahren das Ebolavirus ist Westafrika wütete, ernteten Musikstars massive Kritik für neue Versionen des Songs “Do They Know It’s Christmas”. Ursprünglich war das Benefiz-Lied 1984 von Band Aid veröffentlicht worden, und bis heute ist es aus der Adventszeit kaum wegzudenken.
Im Songtext heißt es unter anderem: “In Afrika schneit’s nicht mal an Weihnachten”, nichts wachse, es gebe kein Wasser und: “Das einzige Geschenk da unten ist das nackte Leben”. Das bringt alle Klischees auf den Punkt. Im Globalen Süden wird die Benefizaktion schon lange nicht mehr als wichtiger Spendenaufruf und Sichtbarmachung von Notlagen gesehen. Die aus Nigeria stammende Autorin Moky Makura schrieb 2023 im “Guardian”: “Es hinterließ ein bleibendes und unangenehmes Erbe, das die Geschichte Afrikas und die Sicht der Welt auf uns geprägt hat.”
Vor 40 Jahren fand das Projekt indes einen musikalischen Höhepunkt: das bis dahin größte Rockkonzert aller Zeiten, parallel in London und Philadelphia, bei dem sich Topstars die Klinke in die Hand gaben. Der 20-minütige Auftritt etwa von Queen gilt bis heute als einer der besten Live-Gigs aller Zeiten; U2-Sänger Bono tanzte vor der Bühne mit einer Teenagerin; Phil Collins flog direkt von seiner Wembley-Show in die USA, um dort mit Led Zeppelin und Eric Clapton erneut zu spielen.
1,5 Milliarden Menschen verfolgten das Spektakel am 13. Juli 1985; Spendengelder von rund 100 Millionen US-Dollar flossen in die Hungerhilfe auf dem afrikanischen Kontinent. Immer wieder wurden indes Vorwürfe laut, ein Großteil der Mittel sei etwa dem äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam zugute gekommen oder der dortigen Befreiungsbewegung Tigray, die heute als Terrororganisation eingestuft wird. Die Organisatoren, Bob Geldof und Midge Ure, beide selbst Musiker, wiesen dies stets zurück.
Die Liste der Kritikpunkte ist allerdings noch länger: Genau 100 Jahre nach der Aufteilung des Kontinents während der Berliner Konferenz traten bei LiveAid vorwiegend europäische und US-amerikanische Künstler und Künstlerinnen auf – wohingegen jene mit afrikanischem Ursprung fast komplett fehlten. Die Absichten der Organisatoren seien zwar nobel gewesen, schreibt Makura, Geschäftsführerin der Organisation “Africa No Filter”. Ihre Darstellung Afrikas habe jedoch “die Entstehung einer bevormundenden Industrie” ausgelöst, “deren Mission es war, Afrika zu retten”. Daraus sei ein boomendes Geschäft geworden.
Auch der nigerianische Journalist Dipo Faloyin spricht in seinem Buch “Afrika ist kein Land” von einem “goldenen Zeitalter der Wohltätigkeitskampagnen”. Solange Organisationen nicht aufhörten, sich auf negative Bilder zu verlassen, werde Afrika ein Ort bleiben, das allgemein als bedürftig für Almosen gelte – und der mit wenig anderem verbunden werde.
Er sei stolz auf die Aktivismus-Konzerte, erklärte Geldof zu Jahresbeginn – auch wenn er danach, als “Saint Bob” verspottet, zunächst nur schwer zur vergleichsweise bedeutungslosen Popmusik zurückgefunden habe. Andere Beteiligte, etwa der ebenfalls nicht unumstrittene Bono, zeigen sich selbstkritischer: Wer Gerechtigkeit erreichen wolle, müsse über Wohltätigkeit hinausgehen, sagte er unlängst der “Welt am Sonntag”. Und weiter: “Ich habe erkannt, dass ich sicherlich die falsche ethnische Zugehörigkeit, vielleicht auch das falsche Alter und wahrscheinlich das falsche Geschlecht habe, um für Kampagnen zu solchen Themen vorneweg zu gehen.”
Auch jenseits der Musikbranche ändert sich das Bild allmählich. In Uganda gründete sich beispielsweise die Gruppe “No White Saviors – Keine weißen Retter” – aus Frustration über die “grassierenden Missbräuche durch weiße Missionare und Entwicklungshelfer”. Junge Menschen schließen sich zunehmend an: Sie fordern beispielsweise, Visa für Europa zu erhalten, ein Mitspracherecht bei geplanten Projekten und ein Ende von westlicher Bevormundung.