Ohne besondere filmische Dramatisierungen zeigt Matti Geschonnek in seinem mehrfach ausgezeichneten Fernsehfilm über die Wannseekonferenz das nüchterne und unmenschliche Planen der Verantwortlichen für den Holocaust.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Am 20. Januar 1942 trafen in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin 15 Mitglieder der NS-Elite zusammen, um die beschlossene Vernichtung der europäischen Juden festzulegen. Unter Vorsitz von Reinhard Heydrich und organisiert von Adolf Eichmann, ging es um die Information der verschiedenen Abteilungen des Nazi-Apparats und einen Ausblick auf die Organisation der sogenannten “Endlösung”.
Da der Ablauf der rund anderthalbstündigen Konferenz per Protokoll festgehalten wurde, ist es möglich, die einzelnen Redebeiträge der Teilnehmer präzise zu rekonstruieren und als Dokument des entmenschlichten NS-Systems festzuhalten: Gestritten wurde nicht über moralische Fragen angesichts des Plans, 11 Millionen europäische Juden zu ermorden, sondern nur über logistische Aspekte, die Zuständigkeit, den geforderten Vorrang bestimmter Abteilungen oder Gebiete vor anderen und insbesondere aus gekränkter Eitelkeit heraus, vor vollendete Beschlüsse gestellt zu werden.
Bereits zweimal zuvor war die “Wannseekonferenz” Gegenstand gleichlautender Filme: Heinz Schirk rekonstruierte sie bereits 1984 für die ARD, in den USA entstand 2001 eine Version für den Sender HBO. Auch die Neuverfilmung von Matti Geschonneck zum 80. Jahrestag 2022 folgt den Vorgaben dieser Vorgänger und stellt das nur rund anderthalb Stunden dauernde Treffen nahezu in Echtzeit nach, frei von inszenatorischen Schnörkeln und mit hochkarätiger Besetzung (u.a. Philipp Hochmair, Johannes Allmayer, Godehard Giese, Simon Schwarz, Arnd Klawitter, Maximilian Brückner, Fabian Busch und Thomas Loibl).
Jeder Platz wird von einem Offizier mit einem Namenskärtchen versehen. Das karge Tischarrangement ergänzt eine Sekretärin mit Notizblock und Bleistift. Die letzten Vorbereitungen für eine zwanglose Besprechung zur “Endlösung der Judenfrage”, wie es die Einladung vermerkt, werden an diesem Morgen des 20. Januar 1942 getroffen. Die handverlesenen Teilnehmer wurden von Reinhard Heydrich in die abseits gelegene Villa am Wannsee geladen. Der Ort gibt dem Beschluss später den Namen.
Mit einer Einführung aus dem Off in den historischen Kontext beginnt Matti Geschonnecks Fernsehfilm “Die Wannseekonferenz”. Er stützt sich auf die protokollierten Diskussionen um die Organisation des Massenmordes und den aktuellen Stand der Geschichtswissenschaft, für die nun auch Archive in der ehemaligen Sowjetunion zugänglich sind.
Deren Wissensstand beziehen Magnus Vattrodt und Paul Mommertz in ihr Drehbuch mit ein. Der Film verzichtet auf Musik, um die Zuschauer nicht zu manipulieren.
Film und Fernsehen wagten sich bereits mehrmals an die Fiktionalisierung dieses Ereignisses. 1984 inszenierte Heinz Schirk einen Fernsehfilm mit prominenter Besetzung – Jochen Busse, Peter Fitz, Martin Lüttge, Robert Atzorn. 2001 standen Kenneth Branagh, Colin Firth und Tom Hiddleston in der Version von Frank Pierson vor der Kamera. In beiden Filmen wird ein Gegenspieler aufgebaut, der vorsichtig gegen den brutalen Mord-Vorschlag argumentiert.
Geschonneck verzichtet auf diesen grundlegenden dramaturgischen Kniff, wozu auch die das Projekt beratenden Historiker rieten. Einzig Wilhelm Stuckart macht in diesem Film einige kleine Einwände zum Ausmaß der Verfolgung gemäß der von ihm mit verfassten Nürnberger Rassentheorien. Allerdings nur, um sein eigenes Lebenswerk zu retten.
Grundlegender Widerspruch gegen die Planungen zum Massenmord bleibt aus – die Männer eint die Absicht, eine effektivere Methode des Tötens als die systematischen Erschießungen zu finden, denen bereits Millionen Menschen jüdischen Glaubens im Osten Europas zum Opfer fielen. Die Belastungen für die beteiligten Soldaten, die Symptome des posttraumatischen Belastungssyndroms zeigen, werden als zu hoch eingeschätzt.
Das Konzept geht dank der schauspielerischen Qualität des Ensembles – unter anderem Maximilian Brückner, Fabian Busch, Godehard Giese und Peter Jordan – und einem Drehbuch auf, das dem statischen Geschehen Dynamik gibt. Am Wannsee treffen Logistiker des Vernichtungskrieges aufeinander, für die die Menschen jüdischen Glaubens nichts als Zahlen sind, die es effizient und systematisch zu dezimieren gilt. Entsprechend bleibt ihr Ton sachlich, die Kühle der Männer und ihre distanzierte Sprache hinterlassen beim Zuschauer ein mulmiges Gefühl.
Der Verzicht auf einen klassischen Handlungsaufbau sei ein Wagnis, betonte Produzent Oliver Berben, der mehr als vier Jahre lang nach dem passenden Konzept suchte. Zwei Jahre lang entwickelte er gemeinsam mit Geschonnek, den Autoren und Historikern das Buch.
Für den Regisseur kam ein sehr persönlicher Aspekt hinzu: Sein Vater, der Schauspieler und Kommunist Erwin Geschonnek, ging 1933 in den Widerstand und wurde 1939 verraten. Er überlebte mehrere Konzentrationslager und den Untergang der “Cap Arcona”, auf der mehr als 4.000 Häftlinge gen Westen gebracht werden sollten.
Durch seine nüchterne Machart unterstreicht der Film erneut die These von der Banalität des Bösen. Geschichte wurde in nüchterner Atmosphäre von durchschnittlichen Männern geschrieben, die zuvor verschiedene Methoden des Massenmordes ausprobieren ließen und die Erfahrungen bündelten. Sie sind sich vielleicht der Dimension ihres Beschlusses bewusst, halten ihn aber für richtig und notwendig.