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Zwei Gerechte

Wer durch die Stadt spaziert, mag sich verwundert die Augen reiben: Ein Denkmal für Justus Jonas, den Helden der Kinder-Serie „Die drei Fragezeichen“? Nein. Der erste Justus Jonas war Jurist, Theologe und Freund Luthers

CC-SA-NC

WITTENBERG – Wer dieser Tage durch das beschauliche Wittenberg spaziert, vom Marktplatz die Schlossstraße hinunter, vorbei an der Cranach-Werkstatt Richtung Schlosskirche; und wer dann seinen Blick mal kurz von jener Kirchentür losreißt, an die Martin Luther 1517 seine 95 Thesen genagelt haben soll, der bekommt es, für einen kleinen Moment, mit ganz anderer Literatur zu tun.
An der Hauswand gegenüber  hängt eine schlichte Bronzetafel, die, so scheint es, an einen alten Bekannten aus der Kindheit erinnern will: an Justus Jonas. „Die drei Fragezeichen und das Geheimnis des verkrachten Augustiners“ – ein apokrypher Fall der drei US-Detektive womöglich?
Natürlich, ein zeitgemäßer 80er-Schauplatz wäre schnell ausgedacht. Mit dem Lutherjahr von 1983, dem 500. Geburtsjahr des Reformators, versuchte der DDR-Staatsrat um Erich Honecker nicht nur, den bisherigen „Fürstenknecht“ Luther in die eigene Währung umzumünzen: die der Revolution gegen Mammon und feudale Obrigkeit. Mit derselben Klappe sollte aber noch eine zweite, zumindest diskussionswürdig konträre Fliege geschlagen werden: Westdevisen für den klammen Arbeiter- und Bauernstaat sollten her.

Was beide auszeichnet: Wissen und Talent

Tatsächlich reisten damals als erste Interessenten vor allem fromme Lutheraner aus den USA an. Kamen hier also die „Drei Fragezeichen“ ins Spiel – jene seinerzeit so populären Kinderdetektive aus Kalifornien: Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews? Ein Spionagefall womöglich im ausklingenden Kalten Krieg? Die Realität ist viel banaler: Besagte Bronzeplatte hängt nämlich an jenem Haus, das der damalige Propst der Schlosskirche 1528 auf Betreiben Luthers erwarb: Justus Jonas der Ältere (1453-1555).
Der Theologe und Jurist Justus war kein pummeliger Detektiv wie sein moderner kalifornischer Namensvetter. Beide teilen jedoch ein enzyklopädisches Wissen, ein ausgemachtes Talent für Analyse und Organisation – und für Sprache. Dies machte Justus den Älteren zu einem zunehmend unverzichtbaren Helfer und Freund Luthers. Er war Mitreisender, Ratgeber, geschickter Verhandler in rechtlichen und theologischen Dingen, lateinischer Übersetzer und an vielen historischen Versammlungen beteiligt, etwa den Reichstagen von Worms 1521 und Augsburg 1530, wo die „Confessio Augustana“ verabschiedet wurde.
Entsprechend häufig ist Justus Jonas in Luthers „Tischreden“ erwähnt. Er war es auch, der Luther im Juli 1527 in Todesängsten beistand und der im Januar 1546 an seinem Sterbebett in Eisleben stand und mit ihm betete. Es heißt, keiner habe den Reformator so gut aufrichten können wie eben Jonas. Nach Luthers Tod fühlte er sich selbst trotz vielfacher Aufgaben oft einsam und depressiv.
Woher aber kommt die kuriose Namensdoppelung für Justus Jonas über die Jahrhunderte und Kontinente hinweg? Der Verdacht liegt nahe, dass die langjährige „Drei Fragezeichen“-Übersetzerin Leonore Puschert daran gedreht haben könnte. US-Schöpfer Robert Arthur (1909-1969), hatte seinen „Ersten Detektiv“ Jupiter „Jupe“ Jones genannt. In der deutschen Übertragung hieß er dann Justus Jupiter Jonas.

War die Übersetzerin verantwortlich?

Auch der „historische“ Justus Jonas hieß von Haus aus keineswegs so – sondern machte diverse Namensentwicklungen durch. Sein Vater, der Nordhäuser Ratsmeister Jonas Koch, führte seinen Vornamen später als Familiennamen. Aus seinem Sohn Jobst Koch wurde so im Erfurter Studium ein latinisierter Jodocus Jonas. Als er später noch die Juristerei aufsattelte, wurde aus Jodocus nun Justus Jonas („der Gerechte“).
In Wittenberg war der Theologe einer der ersten Verfechter (und Vollzieher) der Priesterehe – damals noch ein schwerer Kirchenrechtsverstoß. Jonas war 16-facher Vater – und verlor zwei Ehefrauen an den Tod. Die dritte pflegte seine späteren Gebrechen: Gicht, Gallensteine, Schwindel und Depressionen. Justus Jonas starb am 9. Oktober 1555, wenige Tage nach dem Augsburger Religionsfrieden.
Ungerechtigkeit der Geschichte: Sind seine historischen Leistungen doch ungleich größer, so ist doch nur sein fiktiver US-Epigone unsterblich geworden – durch allein 46 Millionen Tonträger im Land der Reformation. Die erfolgreichste Hörspielproduktion der Welt – kein Fragezeichen.