Andrew Tate muss etwas sehr richtig machen, wenn ihm eine Umfrage 2023 bestätigt, dass ihn 52 Prozent der Briten zwischen 16 und 17 Jahren “positiv” sehen. Andrew Tate ist eine berüchtigte Internet-Berühmtheit. Ohne jeden Selbstzweifel erreicht er mit frauenverachtenden Aussagen Millionen von Followern.
Der BBC-Reporter Matt Shea hat sich zwei Jahre lang an Tates Fersen geheftet. In seiner Reportage präsentiert er seine Recherche und deren Resultate. Schnell zeigt sich, dass Andrew Tate und sein Bruder Tristan nicht auf eigene Faust und eigene Rechnung handeln, sondern Teile, ja Frontleute des Netzwerkes “The War Room” sind. Was dessen Mitgliedern vordergründig Bruderschaft, Selbstoptimierung und positive Männlichkeit verspricht, ist in Wahrheit ein Geschäftsmodell, das Frauen zur Sexarbeit im Sklavendienst zwingt. ZDFinfo zeigt die Doku am Mittwoch, 28. Mai, um 1.15 Uhr.
Die Mitglieder dieses Netzwerks zahlen hohe Beträge und erwerben beispielsweise das “Peeping host Degree”, bei dem sie lernen, wie sie Frauen manipulieren, gefügig machen und dann zur Sexarbeit zwingen können.
Andrew Tate: Opfer meist orientierungslose Frauen
Die Opfer der “Krieger” finden sich, wie die weitgespannte Recherche zeigt, weltweit. Es sind zumeist junge, orientierungslose Frauen ohne Job, Ausbildung und Geld. Dabei scheint es einen fest installierten Loverboy-Ablauf zu geben, wie zwei betroffene Frauen in der Reportage bestätigen: Zunächst wird den Frauen eine romantische Beziehung vorgegaukelt, anschließend werden sie von Freunden und Familie isoliert und dazu überredet, sich als Zeichen der unbedingten Loyalität den Namen des Mannes tätowieren zu lassen.
Sind die Frauen schließlich in die gewünschte Abhängigkeit gebracht worden, werden sie zur Sexarbeit im Webcam-Business genötigt, wobei die Gewinne größtenteils oder ganz an die Männer fließen.

Den Autoren Jamie Tahsin und Matt Shea gelingt es, mit Frauen in Kontakt zu treten und Whistleblower wie “Crab Man” vor die Kamera zu bekommen. Sie berichten von den Praktiken des “War Rooms”, unterfüttert von 12.000 Seiten Chat-Protokollen, die den BBC-Reportern zugespielt wurden.
Was Tahsin und Shea aber nicht gelingt, das sind Face-to-Face-Interviews mit den Tate-Brüdern oder Iggy Semmelweis (alias Miles Sonkin), dem eigentlichen Chef des “War Rooms”. Während Andrew Tate immer davon spricht, er würde reden, falls Matt Shea “Pralinen” zum Treffen mitbrächte (was dieser als unbestechlicher Reporter zurückweist), gibt es zwischen Shea und Semmelweis eine beeindruckende Szene, als der BBC-Journalist lange Zeit neben Semmelweis her läuft, ihn mit Fragen und Anschuldigungen konfrontiert, aber Semmelweis stoisch schweigt.
Später, als er in einem Gebäude verschwindet und sich in Sicherheit glaubt, lästert er dann über Shea im Netz ab – und Semmelweis’ Follower beschimpfen den Journalisten sogleich aufs heftigste im Netz.
Ermittlungsbehörden können keine Beweise gegen Clan vorweisen
Ist die Reportage also daran gescheitert, keine eindeutigen Schuldbekenntnisse zu bekommen? Hierbei sollte man bedenken, dass weder die Ermittlungsbehörden in Rumänien, wo die Brüder unter anderem wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagt sind, noch die Ermittlungsbehörden in Florida, wohin sie sich absetzen, eindeutige Beweise für die Anschuldigungen vorlegen können. Andrew und Tristan Tate bewegen sich wie Fische im Wasser.
Hartnäckiger, investigativer Journalismus
Was der vom ZDF angekaufte BBC-Beitrag in seinen 45 Minuten leistet, ist ein Stück hartnäckiger, investigativer Journalismus. Weil er offenbart, wie Männer Macht über Frauen gewinnen und sie missbrauchen. Egal, ob das aus Frauenhass oder anderen miesen Motiven geschieht.
Und die Wirkungen und Nebenwirkungen des Tate-Kosmos sind übel: Es winkt hoher Profit bei der Sexarbeit, es winkt große Macht über andere Männer im “War Room” und es winkt tiefe Bewunderung von jungen Followern. Andrew Tate ist nicht allein.