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Wo Schwalben ein Zuhause finden

Immer um den 20. April herum, wenn Friedrich Gräter Geburtstag hatte, kamen die ersten Mehlschwalben aus ihrem Winterquartier südlich der Sahara zurück. Zusammen mit seiner Familie beobachtete er mit großer Freude, wie die Sommerboten rund 1.200 Mal hin- und herflogen, um Lehmkügelchen zu sammeln, mit denen sie ihre kugelförmigen Nester unter dem Dachvorsprung seines Hauses in Bretzfeld (Hohenlohekreis) bauten. Wie sie unermüdlich in der Luft unterwegs waren, um im Flug eine Unmenge Insekten für den immer hungrigen Nachwuchs zu erbeuten. Im Juni die erste Brut, dann die zweite. Im Oktober reisten sie wieder ab.

Als in den 1980er-Jahren die Renovierung des Hauses anstand und somit die Nester an der Fassade weichen mussten, bedeutete dies keineswegs das Ende der Willkommenskultur für Schwalben. Familie Gräter brachte Kunstnester an der Südseite der Garage an. Die Umsiedlung gelang – mit mehr Koloniebrütern als zuvor. Mit den Jahren wurden es rund 100 Nisthilfen, die den geselligen Tieren an Garage und Scheune Heimat boten.

2019, noch zu Lebzeiten Friedrich Gräters, zeichnete der NABU seinen Einsatz mit der Plakette „Schwalbenfreundliches Haus“ aus. „Die Mehlschwalben sind seit 2006 jährlich im Schnitt um 3,6 Prozent zurückgegangen, 2024 sogar um 13 Prozent“, sagt Rudi Apel, Schwalbenbeauftragter beim NABU Baden-Württemberg und Initiator der Aktion. Seit 2007 hätten etwa 3.500 Haushalte und öffentliche Gebäude im Südwesten die Plakette erhalten – für die Akzeptanz und Unterstützung brütender Schwalben durch das Anbringen von Kunstnestern und das Anlegen von Lehmpfützen.

Im Zuge von Flächenversiegelungen haben es die Tiere immer schwerer, an Nestmaterialien, im Idealfall Lehm, heranzukommen. Oft halte der Dreck, den sie noch finden, an Fassaden mit modernen Baustoffen gar nicht mehr, erläutert der Schwalbenexperte. Kunstnester sind daher ein wichtiger Beitrag zur Arterhaltung – der gefürchtete Dreck kann durch das Anbringen eines Kotbrettchens unterhalb der Nisthilfe weitgehend aufgefangen werden.

Sehr zu schaffen mache den Vögeln auch das unzureichende Insektenangebot, erläutert Apel. Es sei keine Seltenheit, dass Jungvögel hierzulande buchstäblich verhungerten. Nahrung fehle auch in den Winterquartieren aufgrund immer intensiverer Landnutzung und kleiner werdender Wälder und Sumpfgebiete. „Trotz Klimawandel kommen die Tiere hier tendenziell inzwischen einige Tage später an, sie schaffen aufgrund von Nahrungsmangel weniger Kilometer am Tag“, so Apel.

Vor vier Jahren ist Friedrich Gräter gestorben. Nicht nur seine Frau, sondern auch Tochter Susanne Mugele, ihr Mann Andreas Mugele und deren Kinder Isabell und Jakob kümmern sich weiter liebevoll um die Schwalbenkolonie. Neben der Garage ist jetzt eine Terrasse entstanden, auf der die Menschen den wunderbaren Ausblick über den Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald genießen können. Um die Flugkünstler nicht zu stören, ist eine attraktive neue Heimat für sie entstanden: ein Schwalbenturm.

Im Internet hat sich das Ehepaar inspirieren lassen, doch der handwerklich begabte Betriebswirt hat lieber selbst getüftelt und gebastelt. „Wir haben überlegt: Wie hält das gut, wie bringen wir alle benötigten Nester so unter, dass das Ganze nicht zu schwer wird und noch von Hand aufgestellt werden kann?“, erklärt Andreas Mugele. Unter dem mit Bitumenbahnen abgedichteten Dach mit zusätzlicher Isolierung befindet sich eine quadratische Holzkonstruktion, an deren Innen- und Außenseite insgesamt 14 Doppelnester angebracht sind – in sicherer Höhe auf einem ausgedienten Laternenpfahl. „Wichtig war uns auch, dass der Turm klappbar ist, damit wir ihn im Frühjahr unkompliziert reinigen können“, sagt Susanne Mugele, die sich mit dem neunjährigen Jakob auch um die Reparatur von Nestern kümmert.

Wenn wieder einmal ein Falke oder eine Elster auf dem Hausdach neben dem Schwalbenturm lauert, gibt es „ein Riesengeschrei“, weiß Inge Gräter. Auch wenn sie nicht mehr so gut zu Fuß ist, unterstützt sie, wann immer möglich, die Tiere bei der Vertreibung ihrer Feinde durch lautes Klatschen. (1563/12.07.2024)