Berlin (epd). Selbst auf dem Mars hat die Berliner Mauer Spuren hinterlassen: einen etwa 85 Zentimeter großen Felsbrocken auf der Oberfläche des roten Planeten benannten Wissenschaftler "Broken Wall" ("Zerbrochene Mauer"). Weltweit hat die Bundesstiftung Aufarbeitung bislang mehr als 240 komplette Mauersegmente plus weiterer kleinerer Teile entdeckt, Tendenz steigend. Zuletzt sorgte "Tokio-Hotel"-Gitarrist Tom Kaulitz für Aufmerksamkeit, weil er seiner Ehefrau Heidi Klum ein tonnenschweres Stück Berliner Mauer in ihren Garten in Los Angeles stellen ließ.
Nach dem unerwarteten Mauerfall am 9. November 1989 dauerte es nicht lange, bis von dem "antifaschistischen Schutzwall", wie die ab August 1961 errichtete Mauer von der SED-Führung genannt wurde, fast nichts mehr zu sehen war: "Gleich an den nächsten Tagen wurden Mauerelemente entfernt, um Platz zu schaffen für neue Grenzübergänge", sagt Gerhard Sälter, Forschungsleiter der Stiftung Berliner Mauer.
Mauerspechte brachen Erinnerungsstücke aus dem Beton
Kaum ein Jahr nach Öffnung der Grenze hatten Kräne, Lkw und Planierraupen in der Stadt ganze Arbeit geleistet. Mauern, Zäune und Wachtürme des rund 43 Kilometer langen und bis zu 500 Meter breiten innerstädtischen Sperranlagensystems wurden weitgehend demontiert. Den Rest übernahmen die sogenannten Mauerspechte. Sie brachen auf eigene Faust Erinnerungsstücke mit Hammer und Meißel aus dem Beton. Grenzsoldaten schauten zu. Seit dem 14. November 1989 wurde der Schießbefehl auch offiziell aufgehoben. Rund um die Westberliner Außenbezirke standen weitere rund 112 Kilometer Mauer. Hier sind heute noch vereinzelt Mauerreste zu finden, viele überwuchert oder überbaut.
"Mehr als 40.000 Mauersegmente finden – zertrümmert und zermahlen – als Granulat im Straßenbau Verwendung", hat der Historiker Hans-Hermann Hertle herausgefunden. Andere sind auf Recyclinghöfen oder in Betonwerken als Trennelemente im Einsatz oder wurden als Erinnerungsstücke ins Ausland verschenkt.
"Mauer so schnell wie möglich loswerden"
"Obwohl Willy Brandt und andere schon im November 1989 gefordert hatten, Teile der Mauer als materielles Zeugnis für Teilung und Diktatur zu erhalten, wollten die Berliner die Mauer so schnell wie möglich loswerden", sagt Sälter. Nur an wenigen Stellen hätten sich – meist durch den beherzten Einsatz von Einzelakteuren – signifikante Grenzelemente erhalten, schreibt Denkmalpflegerin und Kunsthistorikerin Anke Kuhrmann.
Einer von ihnen ist Pfarrer Manfred Fischer. Seine Versöhnungsgemeinde war durch den Mauerbau an der Bernauer Straße geteilt worden. Die Kirche stand unerreichbar für die Gläubigen im Todesstreifen. Fischer soll 1990 unzählige Male anrückende Bulldozer weggeschickt und so zum Erhalt einiger Grenzanlagen beigetragen haben. Heute steht hier die Gedenkstätte Berliner Mauer samt Kapelle der Versöhnung.
Mauerstücke unter Denkmalschutz
Inzwischen hat sich die offizielle Haltung zu den Relikten der Mauer geändert. Etwa 30 Mauerstücke am Originalstandort stehen unter Denkmalschutz. Beispiele dafür sind etwa das rund 200 Meter lange Stück gen "Westen" gerichteter Grenzmauer an der Niederkirchnerstraße zwischen Topographie des Terrors und Bundesfinanzministerium. Auf der Grenze zwischen den Stadtteilen Kreuzberg und Treptow, "im Schlesischen Busch", steht heute einer der beiden letzten Wachtürme, eigentlich Führungsstelle der Grenztruppen genannt. An der Spree zwischen Schilling- und Oberbaumbrücke ist die von Künstlern bemalte East-Side-Gallery erhalten. Das mit 1,3 Kilometern längste existierende Mauerstück war Teil der sogenannten Hinterlandmauer.
Außerdem zieht sich eine Doppelreihe von Pflastersteinen zur Markierung der ehemaligen Grenzmauer durch das gesamte Stadtgebiet. Touristischer Anziehungspunkt mit jährlich mehr als einer Million Besuchern ist die Bernauer Straße, auch Sitz der Stiftung Berliner Mauer. Hier ist ein Abschnitt des Todesstreifens mit all seinen Sperrelementen und Einrichtungen erhalten: die Grenzmauer, der Postenweg, die Lampentrasse und die Hinterlandmauer.
Gegen den Wiederaufbau einzelner Abschnitte
Mindestens 140 Todesopfer haben Historiker bislang an der Berliner Mauer gezählt. Außerdem wird von mehr als 5.000 gelungenen Fluchten über Mauer und Todesstreifen ausgegangen, davon mehr als zehn Prozent fahnenflüchtige DDR-Soldaten.