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Wie eine Weberei in Nordhessen mit 100 Jahre alter Handwerkskunst Erfolg hat

Hamlet, Faust und selbst Aschenbrödel durften sich schon in die edlen Stoffe der Historischen Weberei Egelkraut hüllen. Produziert wird bis heute auf 100 Jahre alten Webstühlen.

Inhaber Udo van der Kolk steht an einem Jacquardwebstuhl aus dem Jahr 1991 in seiner Weberei
Inhaber Udo van der Kolk steht an einem Jacquardwebstuhl aus dem Jahr 1991 in seiner Webereiepd-bild / Helga Kristina Kothe

Es riecht nach Holz, Metall und Öl. Mattes Licht flutet die Hallen durch Eisenfenster. Die Webstühle klappern laut, wenn sich die Kett- und Schussfäden zu feinen Geweben verschränken. Zentimeter für Zentimeter entstehen farbenprächtige Muster. „Brokate sind unsere Spezialität“, sagt Udo van der Kolk, Inhaber der Historischen Weberei Egelkraut im nordhessischen Dorf Schwalmstadt-Trutzhain. Aber auch Damaste, Gold- und Silbergewebe, Paramenten-, Dekorations- und Trachtenstoffe entstehen hier nach alter Handwerkskunst.

Viele der Stoffe werden noch auf historischen Webstühlen hergestellt. „Diese Technik findet man sonst nur im Museum“, sagt der 48-Jährige. In den Hallen stehen an die 100 Jahre alte mechanische, lochkartengesteuerte Schützenwebstühle, andere stammen aus den 50er Jahren. Ersatzteile seien schwer zu bekommen. Modernere Maschinen sind etwa 30 Jahre alt, auf ihnen wurden vergangenes Jahr die offiziellen documenta-Schals gefertigt.

Neustart nach dem Krieg

Gegründet wurde die Weberei 1922 von Oswald Egelkraut in Rossbach bei Eger im heutigen Tschechien. Mit seinen drei Söhnen führte er sie bis zum Zweiten Weltkrieg. Papiere belegen Bestellungen aus Amsterdam, Bombay und Casablanca. Durch Krieg und Vertreibung gelangte die Familie nach Nordhessen, wo sie eine Baracke eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers kaufte und 1948 ihre Weberei mit fünf Handwebstühlen und zwei kleinen Schaftwebstühlen neu eröffnete.

Nach schwierigen Anfängen ging es ab 1951 aufwärts. Produziert wurden Schwälmer Tücher und Kutten, Tischläufer und Gardinen. Schließlich wurden Kirchen, Karnevalsvereine, Trachtenschneidereien, Museen, Opern- und Theaterhäuser zu wichtigen Kunden. Zu DDR-Zeiten belieferte Egelkraut die Dresdner Semperoper. Ein besonderer Auftrag war 1973 auch der Brokatstoff für Aschenputtels Brautkleid in dem Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

Die Textilkrise in den 70er und 80er Jahren habe dem Betrieb stark zugesetzt, sagt der Weberei-Chef. Anfang der 90er Jahre habe es wieder einen Aufschwung gegeben – dank neuer Aufträge von Theatern und der katholischen Kirche. Deren Nachfrage nach Paramentenstoff, zum Beispiel für Messgewänder, sei jedoch gesunken. „Wir merken, dass die Kirche sparen muss“, resümiert van der Kolk. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er in der Weberei, die er 2011 von einem der Enkel des Gründers, Helmut Egelkraut, übernommen hat.

Der gelernte Möbelrestaurator hat seither jede Schraube mehr als einmal umgedreht. Die Zeit der großen Textilproduktion in Deutschland war schon lange vorbei, die alten Webstühle konnte und wollte niemand mehr bedienen. Ganz anders denkt Udo van der Kolk, der schon früh von der Technik des Webens fasziniert war und das alte Handwerk durch die Kombination mit moderner Technik bewahren möchte.

Schöne Stoffe, schillernde Farben, wertige Garne, die er rund um den Globus bezieht, sind seine Leidenschaft: Er wolle die Welt ein Stück bunter machen. Er hat eine Wandbespannung für die 2022 wiedereröffnete Löwenburg in Kassel rekonstruiert oder ein altes Schwälmer Muster für eine Weste: „Über 100 Jahre alt und wahrscheinlich so lange nicht mehr produziert worden.“

Maschinen vorm Schrott bewahrt

Bei Kostümbildern weltweit ist der Name „Egelkraut“ etabliert. Früher belieferte die Weberei sie über einen Großhändler für Theaterstoffe, der 2016 aus Altersgründen aufgab. In der Folge blieb zunächst auch van der Kolks Telefon stumm, wie er erzählt. Mit seinem Lebenspartner knüpfte er dann selbst Kontakte zu hunderten Theatern und beliefert nun Häuser von New York über Hamburg bis Tokio direkt. Viele treue Kunden seien darunter, unter anderem das Nationalballett der Niederlande und die finnische Staatsoper.

Auch Karnevalisten und Trachtenschneider aus ganz Deutschland bestellen Stoffe bei ihm. Van der Kolk will auch hier Vergangenes bewahren, stöbert in Depots: Nach historischen Vorbildern webe er Stoffe für Burschen- und Klingelwesten und Schürzen aus dem Schlitzer Land. Sein neuestes Projekt ist die traditionelle Bandweberei, um authentisch historische Trachtenbänder zu produzieren: „Die alten Maschinen kämen sonst auf den Schrott, wenn ich sie nicht benutzen würde.“

Die Weberei, die nach van der Kolks Worten einer der letzten Betriebe dieser Art in Deutschland ist, fertigt das ursprüngliche Stoffsortiment ebenso wie neue Kreationen. Schöpfen kann er aus einem wachsenden Stamm von gut 650 Stoffmustern, die in seiner Manufaktur archiviert sind. Er ist überzeugt: „Besondere Stoffe aus deutscher Produktion sind wieder gefragt.“