Es ist Spätsommer. Helmut Steinmetz steht in Düsseldorf am Rand einer Einkaufstraße. Jetzt, um die Mittagszeit, prallt die Sonne auf seine ungeschützte Haut. Alle paar Sekunden rinnen Schweißtropfen am Ohr vorbei auf sein blaugemustertes T-Shirt. Sonnencreme nutzt er keine, “ich mag das klebrige Gefühl nicht”. Obwohl ihm die Sommerhitze viel mehr zu schaffen macht als eisige Temperaturen im Winter, möchte er den Platz nicht wechseln. Schließlich kommen an dieser Stelle seine Stammkunden vorbei.
Der Mittfünziger verkauft seit sieben Jahren die Straßenzeitung “fiftyfifty”. Ähnlich lange lebte er – offiziell wohnungslos – in Hilfsunterkünften. Mittlerweile vermittelte ihm der Verein “Housing First” einen eigenen Wohnplatz, finanziert vom Jobcenter. Eine einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer schloss er auch ab.
#TagDerWohnungslosen: Immer mehr junge Menschen haben keine Wohnung. Das zeigt der Jahresbericht der @BAGW. Neuer Höchststand: 11 % der Hilfesuchenden in Wohnungsloseneinrichtungen und -beratungen waren Haushalte mit Kindern!
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Trotzdem verkauft er weiter Zeitschriften, auch wenn er damit nicht viel verdient. Immerhin: Rund 400 bis 500 Euro im Monat bekommt er durch seinen Job auf der Straße, wie Steinmetz berichtet. Dafür stehe er sechs Tage die Woche für rund fünf Stunden an seinem Stammplatz. Zusätzlich bekomme er Bürgergeld. Das können in Deutschland auch Obdachlose beantragen, wenn sie eine Postadresse angeben.
Verkäufer von “fifityfifty” besitzen eine “Superkraft”
Nicht alle Einkünfte erziele er durch Zeitschriften-Verkäufe, so Steinmetz. Viele stecken ihm einfach so Geld zu. So schenkt ihm eine Frau nicht nur ein Lächeln, sondern auch drei Euro. Für 2,80 Euro hätte sie eine Zeitung bekommen können. Steinmetz hätte daran 1,40 Euro verdient – die Hälfte ganz nach dem Namen der Zeitschrift “fifityfifty” (fünfzigfünfzig). Sein Rekord seien acht verkaufte Exemplare an einem Tag. Manch dankende Münze bekomme er auch dafür, dass er auf den Hund aufpasse, wenn Herrchen oder Frauchen einkaufen. Die meisten Menschen beäugen ihn aber neugierig aus der Entfernung – und wenden den Blick ab, sobald sie auf seine Höhe kommen. “Wir Zeitungsverkäufer, wir haben eine Superkraft: Wir sind unsichtbar.”
Die erste Ausgabe von “fiftyfifty” erschien nach Vorbildern in anderen Städten am 1. April 1995. Jeden Monat kommt ein neues Exemplar raus, das in der NRW-Landeshauptstadt und im Umland vertrieben wird. Die Auflagenzahl lag früher regelmäßig bei 40.000 Exemplaren, sank mit Corona aber drastisch. Mittlerweile hat sie sich auf 20.000 halbiert, so der “fiftyfifty”-Verein. Um überhaupt die Produktionskosten noch decken zu können, wird seit 2020 ein Digital-Abo angeboten. Aktuell bezögen rund 2.500 Abonnenten die virtuelle Zeitung, hieß es. Tendenz steigend.
Steinmetz arbeitet auf der ursprünglichen Geschäftsgrundlage. Er habe keinen Schulabschluss, erzählt er. Auf der Hauptschule habe er sich unterfordert gefühlt und nach der siebten Klasse abgebrochen. “Der ist eh zu dumm”, hätten seine Eltern reagiert. Danach habe er gejobbt und Pakete sortiert. Nach einem Streit mit seinem Vermieter habe er die Wohnung aufgegeben – und die Zeit der Notunterkünfte begonnen.
Hilfe durch Verein “Housing First”
Ein Bekannter brachte ihn darauf, mit der Straßenzeitung etwas dazuzuverdienen. Zwischendurch machte er die einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer. Nach sieben Jahren in Hilfsunterkünften bekam er nun durch den Verein “Housing First” wieder einen eigenen Wohnplatz.
Mitarbeiter der Zeitschrift halfen, den Verein vor drei Jahren in Düsseldorf zu gründen. Das Konzept kommt aus den USA. Dabei wird Obdachlosen erst Wohnraum vermittelt, bevor man sie weiter eingliedert. Die Mieter haben von vorneherein ein unbefristetes Mietverhältnis – inklusive aller Rechte und Pflichten.
Helmut Steinmetz ist froh, mit dem beständigen Dach über dem Kopf Kapazität zu haben, sich grundlegenden Dingen wie seiner Gesundheit zu widmen. Erst dann sieht er eine Chance, sich als Altenpflegehelfer wieder ein sicheres Einkommen zu erarbeiten. Doch im Moment verkauft er lieber “fiftyfifty”. Im Vergleich zu anderen Nebenjobs sei das immer noch die bessere Alternative. Denn auch da habe er ja mit Menschen zu tun.