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Wie eine Brücke in Kosovo die Bevölkerung spaltet

Überall sonst stünde ein solches Bauwerk für Verbundenheit. Nicht im Kosovo. In dem Westbalkan-Land, das 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien ausrief, ist eine Brücke zum Symbol für eine gespaltene Nation geworden.

“Diese Brücke dient jedem und schließt niemanden aus”, ist Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti überzeugt. Wiederholt kündigte er in den vergangenen Tagen an, die Hauptbrücke über den Fluss Ibar für den Autoverkehr zu öffnen. Damit ist das Betonkonstrukt in der nordkosovarischen Stadt Mitrovica erneut zu einem symbolträchtigen Streitobjekt geworden: Die Brücke verbindet den serbisch bewohnten Norden der Stadt mit dem albanischen Südteil.

Seit Jahren können nur Fußgänger die Brücke nutzen, Betonbarrikaden hindern Autos an der Weiterfahrt. Bewacht wird das Bauwerk von Nato-Soldaten aus Italien. Die Einheiten der Friedensmission KFOR sind seit dem Kosovokrieg Ende der 1990er Jahre hier stationiert. Damals hatte der serbische Machthaber Slobodan Milosevic eine blutige Kampagne gegen die albanische Volksgruppe angeordnet.

“Zunächst war die Brücke aufgrund von Sicherheitsbedenken während der starken ethnischen Spannungen geschlossen”, sagt der Politologe Mentor Vrajolli in Pristina. “Nach der Unabhängigkeit des Kosovo hielten von Belgrad unterstützte Strukturen sie geschlossen als Symbol des Widerstands gegen die Eigenstaatlichkeit des Kosovo.” Die internationale Gemeinschaft akzeptiere die Spaltung Mitrovicas aus Angst vor einer Eskalation. Und weil es immer noch keine einheitliche Haltung zum Status des Kosovo gebe, selbst unter EU-Mitgliedern ist die Unabhängigkeit immer noch umstritten.

Jetzt gab Kurti bekannt, die Brücke für den Verkehr öffnen zu wollen – ohne Rücksprache mit Serbien oder der EU. Für viele Kosovo-Serben ist das eine weitere Provokation. In den vergangenen Monaten mussten sie bereits zusehen, wie die Regierung in Pristina orthodoxe Kirchen umwidmete, serbische Ländereien enteignete und serbische Banken in Nordkosovo zur Schließung zwang. Vorige Woche waren serbische Postämter dran.

Länger schon werfen Kosovo-Serben den albanischen Politikern kulturelle Unterdrückung vor. Doch auch die internationale Gemeinschaft, de facto die Lebensversicherung des Kosovo, ist zunehmend verärgert über Kurtis Alleingänge. “Die Vertreter Frankreichs, Deutschlands, Italiens, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten sowie der EU-Botschafter in Kosovo trafen sich mit Premierminister Kurti, um ihn darüber zu informieren, dass unsere Regierungen in Absprache mit der Nato derzeit keine Änderung des aktuellen Status der Mitrovica-Brücke unterstützen können”, so der US-Botschafter in Pristina, Jeffrey Hovenier. Von der KFOR kam die unterschwellige Drohung: “Wir werden nicht zögern, mit Blick auf unser UN-Mandat jegliche Entwicklung zu bekämpfen, die die Sicherheit und die regionale Stabilität beeinträchtigen könnte.”

Die EU beharrt darauf: Die Öffnung der Brücke müsse erst beim Normalisierungsdialog zwischen Pristina und Belgrad besprochen werden, den die Brüsseler Diplomaten seit Jahren vermitteln. Doch Kosovos Regierung sieht darin einen Einschnitt in die Eigenständigkeit: Wie lange solle man sich noch dem Diktat aus Belgrad beugen?

“Premier Kurti ist mit dem Ansatz der EU und der USA zur Lösung des Konflikts im Norden nicht einverstanden. Er möchte die Souveränität und territoriale Integrität des Landes stärken, indem er souverän handelt”, sagt die kosovarische Politikexpertin Engjellushe Morina. Letztlich sei die Schließung serbischer Banken und Postämter eine “Integrationsmaßnahme” – wenngleich “schlecht umgesetzt”, meint sie. Vervollständigt werde das Dilemma durch die Stimmung in der serbischen Volksgruppe: “Im Nordkosovo gibt es großen Widerstand gegen die Integration in das System und die Institutionen des Kosovo.”

Solange die Brücke in Mitrovica geschlossen bleibe, bestehe in den Augen vieler Kosovo-Serben die Hoffnung, doch noch Teil Serbiens zu werden, so Morina. Etwa durch einen Austausch von Territorium zwischen Serbien und Kosovo. Diese Idee wurde in der Vergangenheit verworfen, ist laut der Expertin aber “noch längst nicht begraben”. Politologe Vrajolli sagt dazu: “Man kann keine Integration erwarten, solange Brücken als Mittel der Spaltung missbraucht werden.”