Artikel teilen:

Wie die Nazis im KZ Dachau ihre Grausamkeit perfektionierten

Ein Prototyp des Grauens: Im Konzentrationslager Dachau erprobten die Nazis ihren Terror. Menschen wurden systematisch zu Tätern gemacht oder entrechtet. Am 29. April 1945 befreiten US-Truppen das berüchtigte Lager.

 Noch hatte die US-Armee am 29. April 1945 das Konzentrationslager Dachau nordwestlich von München nicht erreicht. Mehrere hundert Meter davor stießen die Soldaten auf einen Güterzug voller Leichen. Im Lager selbst fanden sie dann viele Häftlinge in körperlich und psychisch desolatem Zustand vor: “Es waren dreckige, verhungerte Skelette und sie schrien, brüllten und weinten”, schreibt der US-Soldat William Cowling später an seine Eltern.

In der Nachkriegszeit sei Dachau das Symbol schlechthin für die Gewalt der NS-Herrschaft gewesen, sagt Christoph Thonfeld, wissenschaftlicher Leiter der heutigen Gedenkstätte. Erst im Laufe der Zeit habe sich das in Richtung Auschwitz verschoben – “unter anderem dadurch, dass es in Dachau nie diese Form industrieller Massenvernichtung gab”.

Dachau war eines der ersten KZs im NS-Staat. Zugleich bestand es am längsten und steht für Entmenschlichung und den gezielten Missbrauch von Macht. Schon am 22. März 1933 wurde es in einer alten Pulver- und Munitionsfabrik eröffnet – nur wenige Wochen nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Dachau sei zunächst eines unter mehreren Lagern gewesen, eingerichtet für politische Gegner, erklärt Thonfeld. Um solche dauerhaft in Massen zu inhaftieren, sei es vor allem auf Betreiben von SS-Chef Heinrich Himmler und dem bayerischen Innenminister Adolf Wagner schon früh angelegt worden.

Mit Antritt des zweiten Lagerkommandanten Theodor Eicke im Sommer 1933 wurde Dachau dann nach und nach zum Vorbild. Schon ein Jahr später kam der Auftrag Himmlers, das Lagersystem der Nazis neu zu organisieren – Eicke etablierte damit das “Dachauer Modell” in weiteren Kzs. Deutlich wurde dies etwa in der Verwaltungsstruktur.

Die SS sei für die übergeordneten Funktionen im Lager zuständig gewesen, erläutert Thonfeld. Die sogenannte politische Abteilung habe sich um Einlieferung und Vernehmung der Häftlinge gekümmert. Die Verwaltung des Schutzhaftlagers sei auch dafür zuständig gewesen, die Arbeitseinsätze der Inhaftierten zu koordinieren. Darüber hinaus habe der medizinische Dienst den Anschein erwecken sollen, die Gefangenen ärztlich zu versorgen. Eine Disziplinar- und Strafordnung wurde ausgearbeitet sowie die Dienstvorschriften. Die Wachmannschaften erhielten im SS-Bereich ihre Ausbildung.

Letztere oblag zunächst noch der bayerischen Landespolizei, doch die SS lud diese zunehmend ideologisch auf, wie Thonfeld erklärt: “Häftlinge wurden als Menschen zweiter Klasse angesehen.” Die SS-Mannschaften lernten, Gewalt auszuüben – so schlugen sie brutal auf die Menschen ein oder verhängten drakonische Strafen wie Marschierübungen bis zur Erschöpfung. Mitleid war verboten. “Durch diese quasi institutionelle Feindschaft hat sich Dachau früh einen Ruf als besonders brutales Lager erworben.” Viele dort ausgebildete SS-Männer übernahmen später in anderen Lagern führende Rollen und machten damit weiter, Menschen systematisch zu entwürdigen.

Eicke habe Himmlers Ideen in die Praxis umgesetzt, so Thonfeld. Dabei hatte im Frühjahr 1933 die Münchner Staatsanwaltschaft noch versucht, Todesfällen im Lager nachzugehen. In der Folge wurde der erste Kommandant Hilmar Wäckerle entlassen, den Himmler daraufhin durch Eicke ersetzte. Der Versuch, den Terror im Lager zu beenden, ermöglichte letztlich erst, dieses in eine so bedeutende Terrorstätte umzuwandeln – oder konnte dies zumindest nicht verhindern.

Ab etwa 1936 oder 1937 verlor Dachau jedoch allmählich seine Position als Musterlager. “Sie ging auf Sachsenhausen über”, sagt Thonfeld. Damit sei die frühe Phase der KZs zu Ende gegangen, neue Standorte hätten sich etabliert. Dachau wurde in den folgenden Jahren umgebaut und erweitert. Neben politischen Gegnern seien zunehmend sogenannte Asoziale, homosexuelle Personen, Sinti und Roma, dann auch Juden nach Dachau gekommen, so Thonfeld. Menschen mit Behinderungen und sowjetische Kriegsgefangene transportierten die Nazis von dort aus zu ihrer Hinrichtung.

“Als die Lager ab 1942/43 zu Arbeitskräftereservoirs für die Rüstungsindustrie wurden, bildete sich unter anderem in Dachau auch ein weit verzweigtes Netz von Außenlagern.” Auf die späteren Vernichtungslager habe Dachau aber keinen direkten Einfluss gehabt, abgesehen von den dort ausgebildeten Kommandanten.

Rund 41.500 Häftlinge starben im KZ Dachau in zwölf Jahren. Mehr als 200.000 Menschen aus über 40 Nationen waren dort und in den Außenlagern inhaftiert. Ab 1941 führten SS-Ärzte grausame medizinische Experimente durch. Noch am Tag der Befreiung selbst gründeten Überlebende ein internationales Lagerkomitee. Doch für viele Häftlinge kam die Rettung zu spät.

Die wichtigste Lehre aus der Geschichte des Lagers ist für Thonfeld: “Das waren alles Menschen, die Entwicklungen durchschritten haben.” Kaum jemand werde als Sadist geboren, sondern der Mensch werde erst zu einem gemacht. Solchen Entwicklungen gelte es früh entgegenzutreten: “Man muss sich bewusst machen, wohin das führen kann.”