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Wie die Kommunikation mit Koma-Patienten gelingen kann

Wahrnehmung trotz Koma: Merken Patienten, was um sie herum passiert? Fachleute zeigen, wie Angehörige und Fachkräfte mit dem Unbekannten umgehen können und geben Tipps.

Über den Komapatienten, den sie an einem Nachmittag Mitte November auf der Intensivstation 10/2 im Klinikum Nürnberg-Nord getroffen hat, weiß Petra Loos kaum etwas. Nur Name und Geburtsdatum, nicht, was ihm zugestoßen ist. “Aber mehr habe ich auch nicht gebraucht”, sagt sie später. “Ich habe den Menschen dort getroffen, wo er gerade ist.” Zuerst habe sie sich ihm vorgestellt. “Die Höflichkeit gebietet das”, sagt sie, “denn man betritt seinen Lebensraum. Und dann schweigt man.”

Rund zwanzig Minuten hat sie so neben seinem Bett verbracht. Das heiße aber nicht, dass während dieser Zeit nichts passiere. “Wenn man sich den Raum und den Patienten bewusst anschaut, fallen einem Dinge ganz anders auf”, meint sie. Auch bei ihr selbst seien Gefühle und Empfindungen aufgekommen. “Die ich auch aussprechen darf”, sagt Loos. “So etwas wie: Ich habe den Wunsch, Ihre Hand zu berühren.” Wenn man das tue, müsse man sehr genau beobachten, wie das Gegenüber reagiere.

Loos ist Palliativkrankenschwester an den Erler-Kliniken in Nürnberg. Gemeinsam mit rund 15 anderen Teilnehmenden – unter ihnen Pflegefachkräfte, Seelsorger und Therapeuten – hat sie sich drei Tage lang in Nürnberg dazu fortgebildet, welche Kommunikation mit Komapatienten möglich ist. Die Begegnungen mit echten Komapatienten waren ein Teil davon. Ausgearbeitet wurde das Konzept in interdisziplinärer Kooperation vom Klinikum Nürnberg-Nord und der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg.

Auch Anton Baier, der in Nürnberg als Seelsorger auf einer Intensivstation arbeitet, war an Konzeption und Leitung beteiligt. Die zentrale Kommunikationsebene ist für ihn das Schweigen: “Der Komapatient ist still, also bin ich auch still.” Normale Kommunikation funktioniere hier nicht. “Aber das Schweigen schafft eine Begegnungsmöglichkeit und rückt den Patienten in einen anderen Fokus”, sagt Baier. “Das Schweigen ist die Beziehungsebene.” Von Sätzen wie “Der hängt doch eh nur an der Maschine und merkt nichts” hält er wenig.

Für Oberarzt Arnim Geise, der die Fortbildung ebenfalls mitgeleitet hat, ist diese Form der Kommunikation ein Zeichen dafür, dass seine Patienten als die Menschen gesehen werden, die sie sind, nicht nur als die Summe ihrer Diagnosen. Er leitet im Klinikum Nürnberg-Nord die Intensivstation 10/2.

Aber auch für die Patienten selbst könne Kommunikation in gewisser Weise hilfreich sein. “Koma heißt nicht, dass das Gehirn aus ist”, betont Geise. Forschungen hätten gezeigt, dass Gehirnzellen teils trotzdem weiterarbeiteten. Gerade dann, wenn es ans Aufwachen gehe, könne es zudem hilfreich sein, den Patienten vertraute Stimmen, Gerüche oder Musik zu unterbreiten. “Nach unserem Empfinden reagieren sie darauf.”

Angehörigen empfiehlt der Mediziner, sich in Gegenwart von Komapatienten so zu verhalten, als würden diese alles mitbekommen und Inhalte verstehen. Das tun er und die anderen Mitarbeiter der Station auch. “Wenn ich einen Komapatienten behandle, dann sage ich ihm, was ich gerade tu. Ich weiß nicht, was er mitbekommt, aber es schadet in keinem Fall.”

Anton Baier hofft, dass die Teilnehmer durch die Fortbildung sicherer darin werden, Angehörige von Komapatienten zu begleiten, die in dieser belastenden Situation oft viele Fragen hätten. “Man muss ihnen sagen, dass es gut ist, wenn sie da sind, auch wenn sie vielleicht nichts sagen. Es braucht Mut zum Schweigen, zum Aushalten und zum Aussprechen der eigenen Empfindungen in dem Wissen, dass man damit nicht die Resonanz erzeugt, die man im Alltag kennt.” Zentral sei, dass Menschen an Schnittstellen des Lebens nicht allein gelassen würden.

Auch Marcel Rappold ist nach Nürnberg gekommen. Er ist Klinikseelsorger an den Kliniken Ostallgäu-Kaufbeuren und hat auf der Intensivstation regelmäßig mit Komapatienten zu tun. In seinem Arbeitsalltag hat er schon öfter die Erfahrung gemacht, dass Patienten ihn wahrzunehmen scheinen. Etwa bei einer Frau, die auf der Station im Koma gelegen habe, nachdem sie im Wald von einem herabfallenden Ast getroffen worden sei, und die er über Wochen immer wieder besucht habe. Nach seinem Urlaub sei sie wach gewesen. “Ich wollte mich dann bei ihr vorstellen – aber sie wusste von meinen Besuchen am Krankenbett, wer ich war.” Das habe ihn sehr berührt.

Anton Baier hat ähnliche Erfahrungen gemacht. “Manchmal gibt es Überschneidungen zwischen dem, was ein Patient im Koma erlebt hat und der Resonanz, die er bei anderen erzeugt hat”, weiß er. Wichtig ist ihm aber Ergebnisoffenheit. “Bei jemand anderem ist es vielleicht gar nicht so.”

Rappold hat sich für seinen Arbeitsalltag nun vorgenommen, sich im Umgang mit Komapatienten in Geduld zu üben. “Ich habe mir vorher noch nie so viel Zeit genommen, nur da zu stehen und wahrzunehmen”, meint er. Dabei lasse sich allein durch die Beobachtung manchmal sogar etwas über das Gegenüber lernen. Im Austausch mit den Angehörigen hätten sich manche dieser Beobachtungen bestätigt. Natürlich könne man nie genau nachweisen, ob etwa eine Bewegung oder eine Veränderung des Patienten wirklich eine Reaktion auf einen selbst sei. “Aber ich kann mich darauf einlassen und sagen: Diese zehn, zwanzig Minuten stehe ich am Bett und schaue nur und nehme wahr.”