Artikel teilen:

Wer plant denn so was?

Stadtfest. Mit Riesenrad. Gemächlich schaukele ich in meiner Gondel nach oben. Bis über die Dächer Bielefelds. Ich entdecke Kirchtürme, die Sparrenburg, Doktor Oetkers Welt.
Pause. Weitere Reisende steigen zu. Müßig wandert mein Blick umher. Ich finde mich auf Augenhöhe mit dem Giebel einer altehrwürdigen Schule. Gut 40 Meter über dem Boden lese ich darauf „Der Bildung der Jugend geweiht von der Stadt Bielefeld“.
Die Inschrift ist nur zu lesen, wenn die Gondel eines Riesenrads an dieser einen bestimmten Stelle hält. Sonst ist sie für die Augen der Welt unsichtbar.

Das will mir seit dieser Fahrt nicht mehr aus dem Kopf. Wer plant denn so was? Wunsch der Stadt? Exzentrische Idee des Architekten? Was mag der Steinmetz gedacht haben? Seine ganze Mühe eigentlich für die Katz. Und doch stehen die Buchstaben da, exakt in den Stein gemeißelt.
Fragen über Fragen. Und keine Antworten. So muss ich meine Phantasie bemühen. Dabei heraus kommt ein kleines Gleichnis:
Mit dieser geheimen Botschaft ist es ein bisschen wie mit dem Glauben. Die Wahrheit ist für die Augen der Welt unsichtbar. Es braucht den richtigen Ort, die richtige Zeit, den richtigen Blickwinkel. Dann sieht man sie, die Botschaft. Und kann von ihr erzählen, sie weitertragen. Die Hörenden können nur glauben, dass es die Inschrift wirklich gibt.
Vielleicht steht das Riesenrad nie wieder an dieser Stelle. Die Buchstaben blieben weiter verborgen – unerreichbar, ungelesen. Doch wer kann schon wissen, wo überall solche Entdeckungen lauern. Und welchen Spaß es machen kann, sie zu entdecken. Und das nicht nur im Riesenrad.