Zahnsteinentfernung, eine Ultraschall-Untersuchung oder Operation – wird ein Haustier krank, kann das schnell ins Geld gehen. Seit der neuen Gebührenordnung für Tierärzte haben manche Tierhalter finanzielle Probleme.
Über viele Jahre hatte Gisela W. immer einen Hund. Ihren letzten Vierbeiner musste die 72-Jährige vor kurzem einschläfern lassen. Die hohen Tierarztkosten bei dem betagten Tier haben sie belastet. Ein bisschen wehmütig schaut die Rentnerin anderen Vierbeinern und ihren Haltern beim Spaziergang hinterher. Ein neuer Hund? Kommt für sie nicht in Frage. “Das kann ich mir nicht mehr leisten.”
Damit ist die Seniorin kein Einzelfall. Die aktuelle Gebührenordnung für Tierärzte, die am 1. November 2022 in Kraft getreten ist, belastet neben der Inflation und gestiegenen Energiekosten so manchen Tierhalter. Die Gebühren seien im Schnitt um 30 Prozent gestiegen, erklärt Heidi Kübler, Präsidentin der Landestierärztekammer Baden-Württemberg.
In den Praxen habe es in den vergangenen Jahren massive Kostensteigerungen durch Gehaltserhöhungen sowie höhere Kosten für Energie, Arzneimittel und Praxisbedarf gegeben. “Diese Kosten müssen an die Tierhalter weitergegeben werden, wenn eine Praxis wirtschaftlich überleben soll.” Hinzukommen Not- oder Wochenenddienstzuschläge. So kann das Entfernen einer simplen Granne im Ohr gut mal 700 Euro kosten. Laut Kübler zögern Tierhalter Behandlungen deshalb inzwischen eher hinaus.
Wie bei Gisela W. trifft die Preissteigerung gerade weniger bemittelte Tierhalter. Das spürt auch der Verein “Herzensangelegenheit – Menschen für Tiere und Tiere für Menschen in Not”. So könne eine Zahnreinigung beim Hund statt vorher bei 400 nun auch mal “locker bei 800 Euro” liegen, erklärt dessen Vorsitzender Lutz Wingerath. “Für Menschen, die ohnehin bedürftig sind, macht es keinen Unterschied, ob sie 400 oder 800 Euro nicht aufbringen können.” Der Verein organisiert unter anderem Paten, die die Behandlungskosten übernehmen.
Auch die rund 50 Tiertafeln in Deutschland haben regen Zulauf. So auch in München, wo allein rund 700 Haustierhalter unterstützt werden. Viele der Tiere lebten schon lange bei ihren Menschen, die durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder niedrige Rente in Not geraten sind, erklärt die Vorsitzende Andrea de Mello. Zunehmend fragten aber auch Menschen, die in Lohn und Brot stehen nach Unterstützung. “Wenn durch Inflation und Energiekrise 200 Euro im Monat fehlen, dann noch das Tier krank wird und die Tierarztkosten steigen, dann ist das für viele ein Alptraum.”
Dabei sei ein Haustier gerade in schwierigen Lebenssituationen ein Seelentröster. Deshalb möchte die Münchner Tiertafel unter anderem mit Futter und Sachspenden einen Beitrag leisten, damit diese langjährigen Weggefährten nicht aus finanzieller Not abgegeben werden müssen. Vor allem alte und chronisch kranke Tiere verursachten hohe Kosten. “Neuanschaffungen unterstützen wir nicht”, erklärt de Mello.
Auswirkungen der erhöhten Gebührenordnung bekommen auch die Tierheime zu spüren, auch für sie sind die Arztkosten gestiegen. Zudem würden oft schwerst kranke Tiere mit den Worten “Ich hab’ kein Geld” gebracht, berichtet etwa Julia Zerwas, Leiterin des Bonner Tierheims. “Teils mussten die Tiere schon lange leiden, weil die Besitzer einfach nicht zum Tierarzt gegangen sind.” Zerwas berichtet auch von Tierkliniken und Tierärzten, denen junge und gesunde Patienten mit einfachen Frakturen und Erkrankungen vorgestellt wurden mit der Bitte, diese aus Kostengründen einzuschläfern. “Auch für die Tierärzte, mit denen wir eng zusammen arbeiten, ist dieser Zustand grauenhaft. Sie müssen immer mehr Tiere einschläfern, die eigentlich eine gute Prognose hätten”, sagt Zerwas.
Wie viele Tiere aus Kostengründen abgegeben werden, kann auch der Deutsche Tierschutzbund nicht sagen. Der wahre Grund für die Abgabe sei in vielen Fällen nicht bekannt, gibt dessen Sprecherin Lea Schmitz zu bedenken. Oft sei die Tierabgabe mit Scham verbunden und werde deshalb verschleiert. Bei ausgesetzten Tieren würden inzwischen häufig schwere Erkrankungen wie Tumore diagnostiziert. “Der Verdacht liegt dann sehr nahe, dass sich jemand des Tieres entledigen wollte, weil er oder sie die Behandlungs- und OP-Kosten nicht tragen wollte oder konnte.” Schmitz rechnet damit, das dies in Zukunft wohl noch häufiger vorkommen werde.
Auch Tierärztin Christiana Brathe, die in Bottrop in einem Tierarztmobil arbeitet, beobachtet zunehmend “chronisch kranke Tiere, die schon länger nicht beim Tierarzt waren. Für den Verein “Einsatz für Tiere in Not” hilft sie an zwei Tagen in der Woche in der mobilen Praxis, in der auch Kastrationen, einfache Operationen, Wundversorgung, Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen stattfinden. Die Patientenbesitzer müssen über 60 sein und ihre Bedürftigkeit nachweisen. “Es sind immer mehr, die sich kein Haustier mehr leisten können”, sagt Brathe. “Es ist erschreckend, wie viele Leute Bedarf haben; sie sagen klar: Ich kann mir keinen Tierarzt leisten”.
“Ein Tier ist mittlerweile wirklich ein absoluter Luxus”, findet Tierheimleiterin Zerwas. Dennoch seien Haustiere für Menschen oft der letzte Halt, bestätigt Brathe. “Sie kaufen am Monatsende eher Tierfutter als etwas für sich zum Essen.” Auch de Mello beobachtet den hohen Stellenwert von Haustieren. “Das Tier hat immer allerhöchste Priorität, abgeben aus finanziellen Gründen ist nie eine Option.” Denn gerade für Erwerbsunfähige oder Rentner sei ein Tier oft “das Letzte und einzige, was sie noch haben. Lieber steckt der Mensch zurück, das erleben wir immer wieder”.