Artikel teilen:

Weniger Sicherheit für Prostituierte

Die Zahlen der von der Frauenhilfe betriebenen Prostituierten-Beratungsstelle „Tamar“ zeigen den Hilfebedarf unter Frauen. Der Fortbestand nach 2020 ist trotzdem nicht gesichert

SIEGEN – Zu fast 500 Prostituierten nahmen die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle „Tamar“ im vergangenen Jahr in Südwestfalen Kontakt auf. Etwa ein Sechstel davon wurde in der Folge intensiv betreut und unterstützt. Knapp 60 Prostitutionsorte wurden in der Region von den Mitarbeiterinnen aufgesucht. Diese Zahlen nannte die Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen als Trägerin der Einrichtung.
„Tamar“ kann bereits auf über vier Jahre Beratungstätigkeit zurückblicken. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen und der Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen sprangen im vergangenen Jahr für die Fortsetzung der Arbeit der Beratungsstelle mit Eigenmitteln ein, bis eine zweijährige Projektförderung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes NRW bewilligt wurde. Durch die Förderung als Projekt ProBOA „Prostitution: Beratung, Orientierung, Ausstieg“ ist die Finanzierung von zwei Personalstellen und Sachkosten lediglich bis April 2020 gesichert, wie die Frauenhilfe mitteilte.
„Tamar“ bietet Prostituierten- und Ausstiegsberatung in Südwestfalen – in den Kreisen Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Olpe, Soest und Siegen-Wittgenstein – sowie in Hamm an. Im Projekt ProBOA werden Prostituierte in der Startphase des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) beraten und begleitet. „Tamar“-Mitarbeiterinnen wie Sabine Reeh und Tanja Mesic suchen Prostituierte dort auf, wo sie sexuelle Dienstleistungen anbieten – in Clubs, in Bars und Wohnungen oder auch in Wohnwagen.
Über 90 Prozent der Prostituierten, die die Mitarbeiterinnen aufsuchen oder intensiv begleiten und betreuen, sind Migrantinnen. „Wir nehmen eine Lotsinnenfunktion ein“, erläutert „Tamar“-Leiterin Birgit Reiche. Durch Aufklärung und gezielte Informationen würden die vielfach bei Prostituierten bestehenden Vorbehalte gegenüber einer Anmeldung bei Behörden gemindert und sie durch das Hilfesystem gelotst. Auf Wunsch erhalten die Prostituierten Beratung und Begleitung im Ausstieg aus der Prostitution.
„Zwölf der 86 Frauen, die von uns intensiv begleitet werden, befinden sich im Ausstiegsprozess“, erklärt Sabine Reeh und Tanja Mesic ergänzt: „Die individuellen Lebensbedingungen der Frauen sind komplex. Daher läuft die intensive sozialarbeiterische Begleitung über Wochen, Monate und auch Jahre.“
Eigentlich sollte das Prostituiertenschutzgesetz die Rechtssicherheit für die legale Ausübung der Prostitution verbessern und Kriminalität in der Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung bekämpfen. Die Erfahrungen der „Tamar“-Mitarbeiterinnen lassen jedoch anderes vermuten.
Insbesondere kleinere Betriebe mussten schließen und Frauen ziehen sich mit ihrer Tätigkeit in nicht-öffentliche und damit oftmals ungeschütztere Bereiche zurück. „Die Clubs werden leerer und die Internetforen voller“, erklärt Birgit Reiche. Dort sind sie für Behörden, aber auch für Beratungsstellen unerreichbar. „Damit ist das eingetreten, was wir vor der Einführung des Gesetzes immer befürchtet haben: Die Frauen werden in die Illegalität abgedrängt.“ UK