Bremen (epd). Sie kleidet, verbindet Wunden, steckt als Ballaststoff in vegetarischen Lebensmitteln, sorgt im Toilettenpapier für das «extrasofte» Hautgefühl, kleistert Tapeten und spielt in der Kosmetik nicht nur in Watte-Pads eine wichtige Rolle. Sogar Euro-Banknoten werden auf ihr gedruckt: Die Baumwolle ist eine universell
einsetzbare Naturfaser, die eng mit der Menschheitsgeschichte verknüpft ist. Wie eng, das zeigt das Bremer Übersee-Museum in einer großen Sonderausstellung, die unter dem Titel «100 % Baumwolle» bis zum 11. April 2023 zu sehen ist.
«Die Baumwolle ist Ausgangspunkt für viele Entwicklungen», sagt Ausstellungs-Kurator Christoph Greim. Eine Kulturgeschichte, die vor etwa 5.000 Jahren in Indien, Pakistan, Mexiko und Peru begann. Unabhängig voneinander entdeckten die Menschen dort, dass sich die weichen und reißfesten Pflanzenfasern der Baumwolle zu Stoffen verweben lassen. Zeitweise war sie aufgrund ihres zunächst komplizierten Verarbeitungsprozesses sogar so wertvoll, dass sie beispielsweise im China des 15. Jahrhunderts als weißes Gold galt, mit dem Steuern bezahlt wurden.
Im 18. Jahrhundert wurde sie dann mit der Mechanisierung des Entkörnens und Spinnens zur Massenware und zum Treiber der industriellen Revolution. Aber es gibt auch eine andere Seite der Naturfaser, die mit Sklaverei, Ausbeutung und Naturzerstörung verbunden ist. So sei der Pestizideinsatz beim Anbau hoch, kaum eine andere Kulturpflanze sei attraktiver für Schädlinge, erläutert Greim. Und dann sei da noch das Problem mit dem Wasser: «In Landstrichen, in denen Baumwolle nicht natürlich vorkommt, benötigen die Pflanzungen und die Textilindustrie generell enorme Mengen Wasser, wodurch ganze Regionen veröden.»
Die Ausstellung dokumentiert auch: Bis heute ist der Anbau von Baumwolle in einigen Regionen der Welt von Zwangsarbeit und sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen geprägt. Kinder schuften in Textilfabriken in Bangladesch oder auf gigantischen Feldern in Usbekistan. Und das alles, um Märkte wie Deutschland mit billigen Waren zu versorgen. «Jeder Bundesdeutsche kauft im Jahresdurchschnitt
rund 60 Kleidungsstücke – eine Verdopplung binnen weniger Jahre – und trägt damit unweigerlich zur Ausbeutung von Natur und Mensch bei», bilanziert der Handelsexperte Greim.
Doch mittlerweile setze im Management von Lieferketten und einem zunehmend nachhaltigen Baumwollanbau ein Umdenken ein. Das greift die Ausstellung auf und bietet beispielsweise Orientierung im Dschungel der Fairtrade- und Bio-Siegel. Geradezu magisch wirkt eine kleine Ausstellungsvitrine zu Forschungen in Israel, in der auf Knopfdruck die Nebelbewässerung von Baumwoll-Wurzeln in Gang gesetzt werden kann. «Das reduziert den Wasserverbrauch in der Wachstumsphase um bis zu 95 Prozent», weiß Greim.
Die Ausstellung zeigt auch, dass die Geschichte der Baumwolle eng mit Bremen als einstmals wichtigstem Baumwoll-Importhafen Europas verknüpft ist. Doch das ist vorbei, die Hansestadt verlor ihre Weltgeltung in diesem Bereich mit Einführung der Kunstfaser, dem verstärkten Import von Baumwoll-Halb- und -Fertigprodukten sowie dem Niedergang der deutschen Textilindustrie. Bedeutung hat dagegen noch immer die vor 150 Jahren gegründete Bremer Baumwollbörse, international anerkannt als Schiedsgericht.
Das Baumwolle ein Rohstoff mit Zukunft ist, verdeutlicht das Übersee-Museum mit einem weiteren Ausstellungs-Schwerpunkt. So geht es um Einsatzmöglichkeiten etwa als Ersatz für Kunststoff in Leichtbauwänden oder Handyhüllen. Und um «smarte» Baumwolle, die schon fluoreszierend, magnetisch oder wasserabweisend gezüchtet wird, um eine spätere chemische Behandlung überflüssig zu machen. Das alles zeige, sagt Kurator Greim, «dass die Geschichte der Baumwolle längst noch nicht zu Ende erzählt ist».