Überall blinkende Lichter, „O du fröhliche“ im Radio, festliche Stimmung. Für Trauernde steht Weihnachten manchmal quer zur eigenen Realität: Viele erleben das Fest als emotionalen Ausnahmezustand, in Sehnsucht nach dem Menschen, mit dem sie jahrelang Weihnachten gefeiert haben und der nicht mehr lebt – so wie die Bremerin Sigrid König und Karla Brahms aus Heiligkreuzsteinach im Odenwald. Jede hat ihren eigenen Weg, durch die Feiertage zu kommen.
Peter, der Ehemann von Sigrid, ist im September an den Folgen einer Lungenfibrose gestorben. „Wir wussten schon lange, dass mit seiner Lunge etwas nicht in Ordnung ist, vor zehn Jahren hat er dann die Diagnose bekommen“, erinnert sich Sigrid König. Dabei handelt es sich um eine chronische Krankheit, bei der verstärkt Bindegewebe zwischen den Lungenbläschen gebildet und dadurch die Atmung behindert wird. „Peter hat immer schlechter Luft bekommen, am Ende war es eine Qual.“ Nun steht sie vor dem ersten Weihnachtsfest ohne ihren Ehemann.
Das hat Karla Brahms schon erlebt. Ihr Mann Jan Hinrich ist im Dezember des vergangenen Jahres gestorben. „Er hatte Prostata-Krebs“, sagt die Reitpädagogin. „Wir dachten, wir haben noch ein paar Jahre. Aber dann gab es viele Metastasen und alles ging sehr schnell.“
Beide Männer starben in palliativer Versorgung zu Hause. Jan Hinrich wurde auf dem Reiterhof eine Zeitlang aufgebahrt. „Die Bude war voll, Angehörige und Freunde haben sich verabschiedet. Das war wie er: bunt, laut, bereichernd, tragend“, erzählt Karla Brahms. Schließlich kam Weihnachten, wieder mit vielen Menschen. „Ich habe oft geweint, es war eine Menge los“, denkt Brahms zurück, die sich selbst als ehrenamtliche Trauerbegleiterin engagiert.
Und dann waren da noch die „Elefantenrunden“, in der Zeit des Sterbens und auch danach zu Weihnachten, eingerichtet auf Anraten einer Psychotherapeutin. „Wir haben uns in der Familie getroffen, um über unsere Gefühle zu sprechen. Dabei hat ein kleiner, blauer Elefant eine Rolle gespielt. Wer ihn in der Hand hielt, hatte das Rederecht, alle anderen haben zugehört, nichts wurde kommentiert, höchstens eine Verständnisfrage gestellt.“
Überhaupt Familie: Sie habe bisher sehr unterstützt, betont Sigrid König. „Da gibt es viel Solidarität, der Zusammenhalt ist in der Krise noch gewachsen.“ Ähnlich hat es Karla Brahms erlebt: „Wir haben füreinander getan, was wir konnten. Trauer braucht Gemeinschaft.“
Doch jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Eine Zeit, in der vielen Menschen besonders schmerzlich bewusst wird, dass jemand fehlt. „Die Weihnachtstage können belastend sein“, bestätigt die Bremer Trauerberaterin Tanja Brinkmann. Sie rät, die eigenen Erwartungen an sich und die Festtage zu reduzieren. Es müsse eben nicht „schön“, „besinnlich“ oder „gelungen“ sein. „Der Druck nimmt ab, wenn man sich erlaubt, Weihnachten nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, mit Flexibilität“, verdeutlicht sie und gibt ein Beispiel: „Wenn eine Verabredung nicht passt, geht man eben früher oder sagt ab.“
Die Selbstfürsorge müsse Vorrang haben, bekräftigt die Sozialwissenschaftlerin, Autorin und gelernte Krankenschwester. „Kleine Dinge im Auge behalten, die guttun, auch Ritualen nachgehen, um die Verbindung zum Verstorbenen zu halten, etwa das Grab besuchen oder eine Kerze für den verstorbenen Menschen aufstellen, vielleicht mit einem Foto, einem kleinen Gegenstand oder ein paar Worten. Mit dem Tod endet ja nicht die Beziehung.“
Grundsätzlich sei es wichtig, sich auf die Tage vorzubereiten, sie nicht einfach auf sich zukommen zu lassen, betont Tanja Brinkmann, sagt aber auch: „Es gibt keinen Masterplan für den besten Umgang mit der Trauer und mit den Weihnachtstagen.“
Karla Brahms haben im vergangenen Jahr auch Kontakte geholfen, die sie über das digitale Netzwerk der „Trosthelden“ gefunden hat. Das in Bremen angesiedelte Internet-Portal verbindet Menschen miteinander, die ähnliche Trauererfahrungen gemacht haben. Initiator Hendrik Lind hat die Erfahrung gemacht: „Vielen Trauernden hilft es, Tage wie den Heiligabend, Geburtstage, Feiertage und selbst lange Wochenenden durchzuplanen. Sich also eine Art Stundenplan aufstellen, der wie ein Geländer wirkt, an dem man sich festhalten kann, wenn man es braucht.“
Als begleitende Person gilt, so formuliert es Tanja Brinkmann, „Reden ist Bronze, Fragen ist Silber, Zuhören ist Gold und Schweigen, miteinander aushalten, ein Taschentuch reichen, das ist Platin“. Das richtige Maß von Nähe zu Trauernden zu finden, sei manchmal gar nicht so leicht, das gelte natürlich auch zu Weihnachten: „Nicht in Watte packen, das ist wichtig, aber auch nicht überfordern. Und jeden gut gemeinten Ratschlag weglassen.“
Karla Brahms bekommt Heiligabend Besuch. „Vielleicht kochen wir zusammen“, sagt sie. Sigrid König liest bis zum Fest in einem Adventskalender mit kleinen Geschichten, die sie und ihr Mann sich früher gegenseitig vorgelesen haben: ein Ritual, das sie dabei unterstützt, mit der Trauer umzugehen. Den ersten Heiligabend ohne ihren Mann will sie bewusst allein verbringen. An den Weihnachtstagen gibt es Verabredungen in der Familie. Was sie sich fest vorgenommen hat: „Ich will auf die kleinen Glücksmomente achten und hoffe, dass mir das hilft.“