Nach Recherchen des WDR sind deutsche Staatsanwaltschaften bisher zurückhaltend bei Missbrauchsermittlungen in katholischen Bistümern. Bis Anfang 2023 habe es keine Durchsuchung in den Bistumszentralen gegeben, danach eine einzige im Erzbistum München und Freising. Das berichtete der Sender am Montagmorgen und berief sich dabei auf eine eigene Umfrage in allen Staatsanwaltschaften, die für die 27 katholischen Bistümer zuständig seien.
Die meisten Staatsanwaltschaften, so der WDR weiter, hätten zwar Vorermittlungen eingeleitet, Kontakt mit den Bistümern aufgenommen und oft auch Akten angefordert. Es habe aber aus Sicht der Behörden keinen Anlass gegeben für die Vermutung, aufseiten der Kirche würde etwas verheimlicht.
Rein juristisch habe die Staatsanwaltschaft vielleicht keinen Fehler gemacht mit ihrem Hinweis, die Beweislage habe für weitere Ermittlungen nicht ausgereicht, sagte der emeritierte Strafrechts-Professor Rolf Herzberg dem WDR mit Blick auf einen konkreten Fall im Erzbistum Köln. Aber rein juristisch hätte sie aus seiner Sicht auch weiter ermitteln können, um weiteren Missbrauch zu verhindern, ergänzte der Jurist, der auch dem Beirat der kirchenkritischen Giordano-Bruno-Stiftung angehört.
Auch der Mainzer Strafrechts-Professor Jörg Scheinfeld, Direktor des eng mit der Giordano-Bruno-Stiftung verbundenen Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), kritisierte im WDR die Zurückhaltung: “Die Staatsanwaltschaften hätten die Bistümer durchsuchen lassen sollen.” Man könne sich doch nicht darauf verlassen, dass Bischöfe freiwillig Akten herausgeben, “mit denen sie sich möglicherweise selbst belasten würden”.
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) wies die Kritik zurück und sagte dem Sender: “Unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gehen bei jedem Anfangsverdacht gleichermaßen vor. Es interessiert nicht der Geldbeutel oder ein Kardinalshut.” Zudem verwies er darauf, dass viele der Taten verjährt und der Täter verstorben seien. Dann seien die Fälle nicht mehr weiter verfolgbar, weshalb die Behörden auch nicht mehr ermitteln könnten.
Herzberg und das ifw hatten schon im Oktober 2018 zusammen mit fünf weiteren Rechtsprofessoren Anzeige gegen Unbekannt erstattet bei den jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften für die 27 katholischen Bistümer. Anlass war die am 25. September 2018, also vor genau fünf Jahren vorgestellte MHG-Studie zu Missbrauch im Bereich der katholischen Kirche. In den kirchlichen Akten der Jahre 1946 bis 2014 hatte ein Forscherteam Hinweise auf 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute gefunden.
Infolge der Anzeige hatten mehrere Staatsanwaltschaften erklärt, die Studie enthalte keine konkreten Hinweise. Ein förmliches Ermittlungsverfahren dürfe aber nur eröffnet werden, wenn “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” den Anfangsverdacht einer heute noch verfolgbaren Straftat begründeten.
Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Fälle längst verjährt ist und dass die MHG-Studie die Daten anonymisiert darstellt, auch weil es weniger um die Einzelfälle ging, sondern vor allem darum, das Ausmaß und mögliche systemische Ursachen besser einschätzen zu können.