In der Weihnachtsnacht soll sich einer Sage zufolge Brunnenwasser in Wein verwandeln und Heilkräfte haben. Die „Weihnachtswasser-Sage“ weise deutlich christliche Bezüge auf, sagte der Heidelberger Literaturwissenschaftler Linus Möllenbrink im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie sei vor allem im süddeutschen Raum und in Österreich beheimatet. Varianten der Erzählung, die im Spätmittelalter verbreitet wurde, fänden sich aber auch in Westfalen, Halle (Saale) und sogar in England.
Der Sage zufolge geht eine Frau in der Weihnachtsnacht zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Zu Hause ist daraus Wein geworden, den sie auch ihren Nachbarn zu kosten gibt. In der nächsten Weihnachtsnacht geht dann eine neidische Nachbarin zum Brunnen, um Wein zu schöpfen.
Doch das habe Konsequenzen: Wer aus eigennützigen Motiven, wie Neugier, Habgier oder Genusssucht das Wasser schöpfe, werde bestraft, erklärte der Wissenschaftler. Dabei gebe es regional unterschiedliche Folgen für die Sünder.
So befinde sich in einer Version aus dem österreichischen Burgenland in den Gefäßen stinkende Jauche statt Wein. Andernorts werde die habgierige Frau sogar mit Blindheit gestraft oder aber von Geistern oder dem Teufel geholt.
Eine „rationale Erklärung“ für die Todesfolge hat Möllenbrink etwa im Odenwald gefunden. Im badischen Buchen gehen der Sage zufolge zwei junge Männer zum Brunnen. Einer versteckt sich und ruft nach einiger Zeit „Sag mal, ist’s Wein?“. Der andere versteht aber „Du bist mein“ und bekommt vor lauter Angst, es könne der Teufel sein, einen Herzschlag.
Im Christentum gebe es eine enge Verbindung von Jesus zum Wein, sagte Möllenbrink, der zur Literatur des Spätmittelalters und der Neuzeit forscht. Ein Beispiel sei die Eucharistiefeier, wo sich nach katholischem Verständnis der Wein in das Blut Jesus verwandle.
Ein weiterer offensichtlicher Bezug sei die biblische Geschichte der „Hochzeit zu Kana“ aus dem Johannes-Evangelium, sagte Möllenbrink. Darin verwandelt Jesus Wasser in Wein, nachdem dieser ausgegangen ist. Dies sei das erste Wunder, mit dem Jesus als Sohn Gottes in Erscheinung getreten sei.
Die Verwandlung von Wasser in Wein werde in der Kirche als Menschwerdung Gottes gedeutet, erläuterte Möllenbrink. Die Offenbarung Gottes werde in der Kirche am 6. Januar (Epiphanias) gefeiert. Daher sei es wenig überraschend, dass in einigen Erzählungen auch dieses Datum genannt werde. (2857/20.12.2024)