Seit 1906 gibt es die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen (siehe Kasten). Inge Schnittker (Vorsitzende, Hagen), Erika Denker (stellvertretende Vorsitzende, Siegen) und Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen (leitende Pfarrerin, Soest) sprechen über die Geschichte und die heutigen Herausforderungen. Festgehalten hat das Gespräch Öffentlichkeits- und Verbandsreferentin Manuela Schunk.
Weigt-Blätgen: Der Name Frauenhilfe bedeutet zum einen: Frauen helfen sich gegenseitig. Frauenhilfe heißt auch: Frauen verorten sich und vertreten ihre Interessen; sie orientieren sich in theologischen und politischen Fragestellungen. Die dritte Auslegung ist: Frauenhilfen helfen Gemeinde aufzubauen. Oft sind sie die größten und verlässlichsten Gruppen in unseren Gemeinden. Dazu kommt: Frauen helfen anderen Menschen. Das tun sie durch diakonische und soziale Arbeit, durch Kollekten, Spenden und Fürbitten.
Denker: Unsere Mitglieder identifizieren sich mit unseren Arbeitsfeldern, durch die verbandspolitische, frauenpolitische und theologische Akzente gesetzt werden. Die diakonische Arbeit hat bei uns einen hohen Stellenwert. Dadurch können wir exemplarisch zeigen, was wir unter frauenspezifischen oder geschlechtergerechten Angeboten verstehen.
Schnittker: Dabei ist das Alter unserer Mitglieder nicht wichtig, sondern die Strahlkraft, die eine Gruppe hat. Unsere Mitglieder beschäftigen sich unter anderem mit theologischen Fragen und gesellschaftlichen Prozessen, Prostitution und Menschenhandel, Gewalt gegen Frauen undpsychischen Behinderungen.
Weigt-Blätgen: Zudem schwingt beim Ruf nach jüngeren Mitgliedern oft Altersdiskriminierung mit; als seien alte Frauen weniger wert.
Denker: Wir freuen uns über jede, die in unsere Gruppen Gemeinschaft findet. Für jüngere Frauen sind auch projektbezogene Angebote sinnvoll, wie etwa der Weltgebetstag, bei dem sich die Generationen mischen. Durch den Weltgebetstag, der von unseren Gruppen seit 1948 mitgefeiert wird, wird die weite Welt mit gesellschaftlichen und politischen Themen in die einzelnen Gruppen getragen.
Schnittker: Entscheidend für unseren Verband ist, dass er sich immer wieder klar positioniert. Vor jeder Positionierung führen wir Gespräche, um Kompromisse zu finden. Das war in der Vergangenheit so bei den Positionierungen zur Friedensbewegung, zum Paragraphen 218, zur Homosexualität und auch zu Fragen der Feministischen Theologie. Besonders durch die Tagungen zum Jahresthema haben die örtlichen Gruppen viel erfahren – sowohl was die Friedensfragen als auch was die theologischen Themen anging.
Denker: Ja, und die Frauen, die sich an Bildungsangeboten des Verbandes beteiligen, transportieren die theologischen, ökumenischen und politischen Themen in die örtlichen Frauenhilfen. Ergänzend wird die politische Arbeit durch gemeinsame Stellungnahmen untermauert.
Weigt-Blätgen: Wir können uns dabei auf unsere eigene Geschichte beziehen. Die Soester Erklärung 1934 (siehe Kasten), das Ja zur Bekennenden Kirche, führte zu Austritten, aber auch zum Ausschluss von Gruppen. Dies ist unser historisches Vorbild, wenn wir uns heute positionieren zu Rechtspopulismus, zu Geflüchteten und zur Homosexualität…
Schnittker: Obwohl mittlerweile mehr als 500 Menschen im Verband angestellt sind, ist und bleibt das Ehrenamt eine tragende Säule. Es gibt die Leiterinnen in den Gruppen, die Bezirksfrauen als Helfende in den Gemeinden. Hinzu kommen die vielen Ehrenamtlichen in den verbandlichen Gremien, die Männer und Frauen in den Projekten und Einrichtungen, die für eine begrenzte Zeit ehrenamtlich tätig sind – das sind zusammen über 4500 ehrenamtlich Engagierte.
Weigt-Blätgen: Dabei schaffen wir konsequent strukturelle Rahmenbedingungen für das Ehrenamt: stellen Arbeitsmittel zur Verfügung, erstatten Fahrtkosten, klären Versicherungsfragen, bieten regelmäßige Fortbildungen und Supervisionen an… All das haben wir auch in den kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext hineingetragen. Aber es könnte natürlich noch einiges verbessert werden.
Frühjahrskonferenz 27.-28. April 2017
SOEST – „Mitten unter uns – Rechtspopulismus als Gefahr für eine demokratische Gesellschaft“ ist das Thema der Frühjahrskonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. vom 27. bis 28. April in der Tagungsstätte Soest. Hintergrund ist, dass europaweit rechtspopulistische und europaskeptische Parteien an Einfluss gewinnen. Die Tagung, die um 14 Uhr beginnt und am zweiten Tag um 15.30 Uhr endet, will über Ursachen und Verbreitung von Rechtspopulismus informieren, Auswirkung auf das Demokratieverständnis prüfen und Einstellungs- und Handlungsstrategien für das Wahljahr 2017 erarbeiten. Referent ist der Soziologe und Publizist Andreas Kemper.
Daten und Fakten
1906 wurde die „Westfälische Frauenhülfe“ gegründet. Schon 1907 gab es eine Pflegeausbildung und der „Diakonissen-Hülfsverein“ für Privatpflege wurde gegründet. 1911 siedelte sich die Frauenhülfe in Soest an. Die erste diakonische Einrichtung entstand 1917: das Heim für „gefährdete und verwahrloste“ Mädchen und Frauen in Wengern. Heute ist die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. ein Mitgliederverband, ein diakonischer Trägerverein und Trägerin evangelischer Frauen- und Familienbildung. Zum Verband gehören 38 Bezirks-, Stadt- und Synodalverbände mit fast 45 000 Frauen in 1100 Ortsgruppen.
Erklärung 1934
Die am 26. Oktober 1934 verabschiedete Soester Erklärung der Frauenhilfe beendete den Neutralitätskurs des Verbandes zu Beginn des Nationalsozialismus. Sie ist eine klare Absage an die falsche Lehre der Deutschen Christen und ein Dokument des Kirchenkampfes.