Über dem Binnendeich bei Reußenköge nahe Husum hängen an diesem Tag graue Regenwolken, aber Dirk Albrecht stört das nicht. Der Deich und das Marschland dahinter sind so etwas wie sein Arbeitszimmer. Seit 15 Jahren ist er Oberdeichgraf und damit zuständig für 25.000 Hektar Land rund um die Flüsse Arlau und Ostenau in Nordfriesland.
Ein Amt, das bis vor 50 Jahren bei manchem Bauern recht unbeliebt war. „Vor 1971 hat jeder einzelne Koog seinen Deichabschnitt betreut und der Oberdeichgraf hat dann die Bauern verpflichtet, Arbeiten am Deich zu machen“, erklärt Albrecht. Als Koog bezeichnet man an der schleswig-holsteinischen Westküste ein Stück Marschland, das durch Deichbau gewonnen wurde. „Wenn der Oberdeichgraf dann nicht so stark war, blieben die Bauern auch mal zu Hause.“
Nach 1971 wurde der Küstenschutz einheitlich geregelt und das Land Schleswig-Holstein übernahm die Verantwortung für die Deiche. Der Deichgraf ist seither ein reines Ehrenamt. Fabian Lücht vom Landesbetrieb Küstenschutz und Nationalparks (LKN) arbeitet trotzdem eng mit ihnen zusammen. Bei Sturmflut oder Hochwasser, sind die Deichgrafen und Deichvögte seine Augen und Ohren. „Im Katastrophenfall treffen wir uns im Einsatzlagezentrum in Husum“, erklärt der LKN-Bereichsleiter. „Die Deichgrafen begehen dann die Deiche und geben über Funk Meldungen durch, auf die wir dann entsprechend reagieren.“
Die Arbeit des LKN und der Deichgrafen basiert auf Planungen für Jahre und Jahrzehnte im Voraus. Wenn der Landesbetrieb neue Deiche bauen lässt, oder alte verstärkt, dann sollen sie für 80 bis 100 Jahre Schutz bieten, auch bei steigendem Meeresspiegel. Wichtig ist die regelmäßige Instandhaltung. „Die Grasnarbe muss kurz sein. Dabei helfen uns natürlich die Schafe ganz erheblich“, sagt Fabian Lücht. Zweimal im Jahr organisiert der Landesbetrieb Küstenschutz eine Deichschau an der Westküste Schleswig-Holsteins. „Im Herbst laden wir auch die Rettungsdienste dazu ein. Feuerwehr und THW zum Beispiel.“
Denn bei Regen oder Sturm kann es gerade an der Küste schnell brenzlig werden. Im Oktober 2023 richtete eine Rekordsturmflut an der Ostsee katastrophale Schäden an. Häufiger aber ist die Nordseeküste betroffen. So wie im Mai 1997. Damals gab es in Breklum ein Binnenhochwasser. „Da hatten wir 220 Millimeter Regen in einer Nacht und da war alles unter Wasser“, erinnert sich Dirk Albrecht. Damals sei er aber noch jünger gewesen, ergänzt er mit einem Augenzwinkern. „Da habe ich gedacht, das hört auch wieder auf zu regnen, nun geh mal schlafen. Das würde ich heute so nicht mehr machen.“
Die Deichgrafen und Deichvögte behalten auch die Flüsse und Siele im Landesinneren im Auge. Tausende Kilometer von Wasserwegen müssen gereinigt werden, damit das Wasser ablaufen kann. Mit 68 Jahren sucht Oberdeichgraf Albrecht langsam einen Nachfolger. Der soll dann sicherstellen, dass die Menschen hier, auch in Zukunft, bei Hochwasser keine nassen Füße bekommen.