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Von Kanälen umkränztes Friesen-Herz

Leeuwarden und die ganze niederländische Region locken mit Kunst, Musik, Theater und mehr

Theo de Witte/NBTC

Im Mittelalter, als europaweit eine adelige Elite über die Bevölkerung herrschte, blieben die Friesen ihre eigenen Herren: Grafen und Herzöge kannten und akzeptierten sie nicht. Und als 1815 das Königreich der Niederlande geschaffen wurde, setzten sie zwei offizielle Sprachen durch: Niederländisch und Friesisch.
Bis heute pflegen die Friesen an der Nordsee ihre Selbstständigkeit und ihre Eigensinnigkeit. Friesisch ist noch immer offizielle Sprache. In diesem Jahr ist die friesische Provinzhauptstadt Leeuwarden Kulturhauptstadt, neben Valletta auf Malta. Die Macher haben dafür ein Programm zusammengestellt, das die Eigenständigkeit, die Aufmüpfigkeit und die Kreativität mit einem Augenzwinkern zu Kernthemen macht: Diversität, Innovation, der Mut, anders zu sein, und gleichzeitig der Sinn für Tradition, Gemeinschaft und Geschichte – das sind die roten Fäden im Programm.
Schlendert man durch die Straßen der Stadt, sieht man Straßenschilder und Speisekarten in beiden Sprachen. Die Häuschen in der Innenstadt sind eng zusammengebaut, sie bilden ein Labyrinth aus Gassen. Eingeschlossen ist die Innenstadt von einem Kranz aus Kanälen, der früher dem Schutz der Stadt diente. Wer an ihnen entlangwandert, landet irgendwann bei den Bierkellern. Unter der Straße, mit Zugang zum Wasser, wurde dort früher Bier gebraut. Heute sitzen bei schönem Wetter auf den Terrassen die Besucher der Restaurants und Cafés, deren Lichter sich abends im Wasser spiegeln und mit dem der beleuchteten Brücken vermischen.
Am Eröffnungswochenende für das Kulturhauptstadtjahr am 26. und 27. Januar füllen sich die Straßen und Plätze von Leeuwarden und anderen Städten mit Musik und Theater von internationalen Künstlern, die gemeinsam mit lokalen Akteuren auftreten. Nicht nur Leeuwarden ist Kulturhauptstadt, sondern die ganze Provinz, vom Wattenmeer an der Nordsee bis in die Wälder. Vom 1. bis 10. Juni zum Beispiel finden in Oranjewoud im Südosten von Friesland Konzerte in Wäldern und auf Landgütern statt, unter anderen mit dem britischen Violinisten Nigel Kennedy und dem jungen luxemburgischen Pianisten und Komponisten Francesco Tristano.
Eines der größten Projekte ist „11Fountains“, elf Wasserkunstwerke in elf Städten. Sie nehmen Bezug auf eine der bekanntesten Traditio­nen in Friesland: Die „Elfstedentocht“ ist ein fast 200 Kilometer langes Eislaufrennen auf zugefrorenen Kanälen und Flüssen, das elf Städte in der Provinz miteinander verbindet. Seit 1909 wurden allerdings erst 15 Rennen gelaufen, zuletzt 1997. Weil die Winter milder und das Eis dünner wird – es muss an allen Stellen mindestens 15 Zentimeter dick sein –, wird es zunehmend zu einer Erinnerung an vergangene Zeiten. Für das Projekt „11Fountains“ haben Künstler aus aller Welt große Wasserkunstwerke für die elf Städte entlang der Strecke geschaffen. Im Mai werden sie enthüllt. Sie sollen auch nach dem Ende des Kulturhauptstadt-Jahres stehen bleiben.
Die „mienskip“, die Gemeinschaft, ist den Friesen wichtig. Auch beim Programm für das Jahr der Kulturhauptstadt wurde die Bevölkerung direkt beteiligt. Für das „11Fountains“-Projekt zum Beispiel gründeten sich lokale Komitees, die über die Entwürfe entschieden. Die Bürger waren aufgerufen, über die Ideen und Standorte abzustimmen.
Die Kulturhauptstadt Leeuwarden-Friesland umfasst neben dem Hauptprogramm mit rund 100 Veranstaltungen zahlreiche weitere Programmpunkte von örtlichen Initiativen und für die lokale Bevölkerung. „Die Kulturhauptstadt lebt in den Herzen vieler Friesen“, sagt der Direktor der Kulturhauptstadt, Tjeerd van Bekkum. „Die Gemeinschaft ist ein Nährboden von Kreativität.“
Entlang der Nordseeküste entstehen im Wattenmeer unter dem Titel „Sense of Place“ 25 Kunstwerke. Auf der Insel Vlieland legen Künstler, Autoren, Fotografen und Landschaftsarchitekten sieben Terrassen im Meer an, die Ende April vorgestellt werden. Mit ihnen werden besondere Orte der Insel markiert und die Geschichten der Bewohner dahinter dokumentiert. Und auf der Insel Terschelling entsteht ein gigantisches Labyrinth aus Drahtzäunen, die Struktur gleicht – aus der Luft betrachtet – dem abstrakten Gemälde „Pier en Oceaan“ von Piet Mondriaan. Das Kunstwerk dient gleichzeitig dem Schutz der Küste.
Seit das Wattenmeer 2009 zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurde, darf dort zwar kein künstliches Land mehr gewonnen werden, wie es jahrhundertelang in den Niederlanden betrieben wurde. Die Drahtkonstrukte helfen aber, einige Gebiete vor ständiger Überflutung zu schützen und dadurch zum Beispiel Seegras und Muschelbänke wachsen zu lassen: Ein Projekt, das Historie, Innovation und Kultur verbindet.

Leeuwarden-Friesland als Kulturhauptstadt (englisch):