Vorsichtig öffnet die 35-jährige Louise, in einen weißen Ganzkörperschutzanzug gekleidet, den Reißverschluss zu einem großen schwarzen Zelt. Auf Aluminiumtischen reihen sich unter Neonlicht 90 Cannabispflanzen aneinander. Louise ist sogenannte Cannabis-Beraterin des Braunschweiger Vereins „4Strains“, der kurz vor seiner ersten Ernte steht.
„Ab und zu kommen mir die Tränen, denn ich darf jetzt dabei sein, wofür ich jahrelang gekämpft habe“, sagt die 35-Jährige. Möglich macht das seit vergangenem Jahr das Konsumcannabisgesetz der im Herbst 2024 geplatzten Ampel-Koalition. Die aktuelle Bundesregierung will das umstrittene Regelwerk laut Koalitionsvertrag zum 1. Oktober mit einem Zwischenbericht „ergebnisoffen“ evaluieren.
Für den Anbau der berauschenden Pflanze hat der Cannabis Social Club eine rund 940 Quadratmeter große Industriehalle in einem Dorf im Wolfsburger Umland angemietet. Zwischen den Anbau-Zelten steht der Geschäftsführer des Clubs, Malte Martin (50). Die bundespolitischen Entwicklungen sieht er gelassen: „Hier ist alles zu weit fortgeschritten, um es jetzt abzubrechen“, sagt er, während er sich umblickt. Die Kartons für weitere Anbauzelte liegen schon bereit. Seit mehr als einem Jahr haben der Software-Entwickler Martin und seine Mitstreiter in ihrer Freizeit dafür gearbeitet, dass die Pflanzen mit modernster Klimatechnologie wachsen können. Mehr als 100.000 Euro haben sie mit Privatkrediten in das Projekt investiert.
Für Martin ist der Cannabis-Konsum verbunden mit Genuss am Wochenende, einem Glas Wein und der Jazz-Musik, aus der er dann ganz neue Töne heraushören kann, erzählt er begeistert. Die anderen der rund 20 Mitglieder von „4Strains“ seien beispielsweise Bankangestellte und andere Berufstätige, aber keine Schüler, sagt er. „Langhaarige Hippies sucht man hier aktuell vergebens, wären aber natürlich ebenso willkommen wie jeder andere auch.“ Die Mitglieder ab 21 Jahren zahlen einen Monatsbeitrag von 20 Euro, helfen beim Anbau und können schließlich das angebaute Cannabis in einer Ausgabestelle in einem ehemaligen Ladenlokal in Braunschweig kaufen.
Bundesweit haben sich nach einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bislang mehr als 330 Social Clubs gegründet. Sie dürfen jährlich maximal 300 Kilogramm Cannabis pro Club anbauen. Zuvor müssen sie jedoch sehr viele Vorschriften einhalten und Anträge stellen, erklärt Cannabis-Beraterin Louise, die in der Zwischenzeit ein Hanf-Blatt in ihren grün behandschuhten Händen dreht. So muss die Ausgabestelle mindestens 200 Meter von Kindergärten oder Sporteinrichtungen entfernt sein. Auch müsse die Produktionsstätte durch einen Zaun gesichert sein. Nicht jeder Vermieter sei offen für derartige Unternehmen.
Den Herausforderungen stellten sich die Mitglieder von „4Strains“, weil sie Qualität produzieren wollen, betont Geschäftsführer Martin. Jeden Tag kontrolliert der vom Club ernannte Anbauverantwortliche, der „Helfer-Grower“ Fynn, die Pflanzen. Der 24-Jährige hat an der Deutschen Cannabis-Akademie eine Schulung über die Qualitätskontrolle bei Cannabis gemacht. „Ich überprüfe die Cannabisblüte nach Aussehen, nach der Sensorik, der Zusammensetzung und dem Geruch.“ Abschließend werden die geernteten Blüten per Kurier in ein Labor gebracht und auf Inhaltsstoffe getestet.
Der Kritik, dass mit der teilweisen Legalisierung Tür und Tor zu einem Suchtmittel geöffnet werden, entgegnet Martin: Kaum ein anderes Genussmittel mit Suchtpotenzial, etwa Alkohol, werde derart stark kontrolliert wie Cannabis. Zudem hat der Club Hilfe zum Thema Prävention bei der Drogenberatungsstelle in Braunschweig gesucht. Die Mitglieder bekommen bei der Ausgabe von maximal 25 Gramm zudem ein Informationsschreiben über die Gefahren des Cannabis-Konsums.
Laut dem Bundesdrogenbeauftragten haben mindestens 18 Millionen Menschen wenigstens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert, das seien rund 40 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren. Eine aktuelle Studie der Frankfurt University of Applied Sciences legt zudem nahe, dass die Cannabis-Legalisierung tatsächlich den Schwarzmarkt bekämpft: Demnach beziehen Cannabis-Konsumenten ihren Stoff mehr aus eigenem Anbau oder über Apotheken.
Geschäftsführer Martin sieht seinen Club, dessen Name von den vier angebauten Sorten herrührt, an einem „historischen Wandel in Deutschland“ beteiligt. In diesen Tagen erwarten die Mitglieder die erste Ernte mit einem Ertrag von bis zu sieben Kilo.