“Vergiss Meyn Nicht” ist ein Dokumentarfilm über den Filmstudenten Steffen Meyn, der bei den Protesten gegen die Zwangsräumung des Hambacher Forstes tödlich verunglückte. Seine Aufnahmen werden um Interviews ergänzt.
Am Ende ihres Films “Vergiss Meyn Nicht” fragen die Filmemacher Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff eine Aktivistin, ob es sich lohne, mit dem ganzen Körper und womöglich mit dem Leben für größere Ideale einzutreten. Ihre durchaus reflektierte, aber doch fragwürdige Antwort zeigt das Dilemma des Films und womöglich vieler zeitgenössischer Protestformen.
Denn die Frau bejaht die Frage unter Vorbehalt – da man eigentlich jene fragen müsste, die wie der ehemalige Kommilitone der drei Filmemacher, Steffen Meyn, bei einem Protest ums Leben gekommen seien. Dann erzählt sie, wie stark sie die Erlebnisse im Hambacher Forst geprägt hätten und wie viel sie über sich und das Leben erfahren habe. Kein Wort mehr von den größeren Zielen, lediglich eine persönliche Geschichte.
Mit einem Mal zerfällt das agitatorische, dringliche Bestreben dieser Menschen und auch des sich eindeutig auf die Seite der Demonstrierenden stellenden Films zu einer persönlichen Erinnerung, in der tragischerweise einige ums Leben kamen. Es bleibt das ohnmächtige und bemüht wärmende Gefühl eines “es war nicht umsonst” statt eines “es muss weiter etwas getan werden” oder zumindest eines “so geht es nicht weiter”.
Man darf sich fragen, warum der Film mit einer solchen Aussage enden muss. Denn eigentlich umgeht er weitgehend typische Fallstricke eines Bildungsromans der Aktivistinnen, in dem diese aus ihren Leben berichten oder, noch schlimmer, von einer kitschigen Heldenreise des tragisch gestürzten Meyns. Stattdessen widmet er sich den Zwangsräumungen des Hambacher Forsts im Rheinischen Braunkohlerevier aus verschiedenen Perspektiven, allerdings allesamt der Demonstrierenden.
Unter Verwendung des mit einer 360-Grad-Helmkamera gedrehten Materials von Meyn und klassisch gefilmten Interviews findet der Film einen zugänglichen und bisweilen vielschichtigen Einblick in die Welt der Demonstrierenden. Die eingangs geschilderte Ohnmacht schimmert dabei sehr wohl durch die Oberfläche. Hier befinden wir uns noch mitten im Kampf, es wird allerdings nur ansatzweise deutlich im Film, wie dieser Kampf aussieht, was er bedeutet, was in denen, die kämpfen, vorgeht. Aber vielleicht ist das auch zu viel verlangt?
In einigen Szenen geht es um ein Für und Wider von Gewalt und Militanz, die Vermummung oder Organisationsformen innerhalb eines solchen Protests. Vor allem ein aus einer Verhandlung mit der Polizei entstehender Konflikt zwischen den Demonstrierenden zeigt einiges vom Innenleben dieser Gruppen. Wiederholt wird in solchen von Meyn mit der Helmkamera gefilmten Szenen und in Gesprächen die Bedeutung individueller Geschichten und Motivation hinterfragt.
Wie aber lassen sich Bilder eines Protests zeigen, in denen es um die Sache geht und nicht um die, die sie vertreten? Den Bildern von “Vergiss Meyn Nicht” könnte man jederzeit entgegenhalten, dass sie parteiisch sind. Aber vielleicht ist auch das der Zweck dieses Filmes, sich zu einer Seite zu bekennen. Aber selbst dann müsste auf der Bildebene mehr passieren.
Vieles wird so aufbereitet, als wollte hier jemand seinen Eltern erklären, warum die Demonstrierenden gute Menschen seien. In einem Rückblick auf die Ereignisse nach fast sechs Jahren ist das zu wenig. Möglicherweise fehlt dem Film schlicht die Distanz, das zeigt bereits der Titel. Es ist schwer vorstellbar, was es bedeutet, mit dem Material eines Kollegen und Freundes zu arbeiten, der starb, als er es drehte.
Vielleicht ist es keine gute Idee, sich überhaupt an ein solches Material zu wagen. Die Verantwortung wiegt schwer, und ein richtiges Bild des Menschen entsteht nur gelegentlich, wenn man ihn still in einem der Baumhäuser sitzen sieht oder wenn er die neue Kamera zum ersten Mal mit einigen Freunden ausprobiert.
Es ist davon auszugehen, dass der Film denen gilt, die Meyn kannten oder ihm nahestanden. Trotzdem muss gefragt werden, ob es die richtige Entscheidung ist, die letzten gedrehten Bilder des Verstorbenen bis unmittelbar vor seinem Sturz zu zeigen. Auch muten manche Szenen mit Sicherheitsseilen so an, als wollte man Spannung erzeugen. Die bisweilen treibende Musik tut ihr übriges.
Man könnte sagen, dass die formalen Mittel den Filmemachern gelegentlich entgleiten. Das mag unfair erscheinen, schließlich trägt den Film allein die Kraft, dass er uns diese Bilder Meyns zeigt. Man fragt sich nur, ob es nicht besser gewesen wäre, man hätte das Material möglichst ungefiltert wiedergegeben, statt alles immerzu einzubetten und damit abzuschwächen.
Am interessantesten ist der Umgang mit Meyns Kamera. Der Film beginnt mit der im herbstlichen Laub liegenden Kamera, das heißt, ihrem Blick nach dem tödlichen Sturz Meyns. Sie wird von Polizisten aufgehoben und filmt weiter. Das ist eine beeindruckende Sache: eine Kamera, die weiterdreht, nachdem ihr Besitzer gestorben ist.
Der Film greift diese sich selbst überlassenen Bilder und auch Diskussionen über die Bedeutung von Kameras für einen solchen Protest wiederholt auf. Eine Kamera sei eine Waffe, sagt ein Aktivist. Sie beeinflusse das Verhalten der Polizei und biete Schutz für die Demonstrierenden. Dass es sich um eine 360-Grad-Kamera handelt, die Meyn meist auf einem Helm trägt, wirft weitere Fragen über Bilder auf, die im Rahmen solcher Proteste entstehen. Es ist menschlich verständlich und filmisch bedauerlich, dass “Vergiss Meyn Nicht” diesen Fragen nicht gründlicher nachgeht.