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Unterwegs mit dem Lastenrad – trotz mieser Infrastruktur

Wo immer möglich ohne Auto unterwegs: Familie Hopmann fährt seit Jahren mit dem Fahrrad. Ein Lastenrad ersetzt für sie das Zweitauto. Trotz mancher Hindernisse.

Bei jedem Wetter, mit Kindern und Gepäck: Die Hopmanns sind schon seit Jahren mit dem Fahrrad unterwegs. Birgit (44) und Benedikt (43) aus Sankt Augustin bei Bonn tun das aus Überzeugung – aus ökologischen und sportlichen Gründen und weil sie im Stadtverkehr mit dem Lastenrad schneller vorankommen.

Als ihr zweites Kind unterwegs war, haben sie sich zunächst einen Fahrradanhänger gekauft. Der wurde irgendwann zu klein für die beiden Mädchen. Die Hopmanns ersetzten ihn durch ein Lastenrad – als Transportmittel und mit Bank für die Kinder. Amrei und Franka sind inzwischen acht und zwölf Jahre alt und meist auf eigenen Fahrrädern unterwegs. Aber manchmal fahren sie auch heute noch mit dem Lastenrad – zum Beispiel bei Regen. Während Birgit auch mal aufs Auto umsteigt, “wenn das Wetter total mies ist”, bleibt Benedikt selbst dann dem Lastenrad treu: Hier können die Mädchen im Trockenen sitzen. “Da kann es auch noch so schütten, das ist mir egal – da werde ja nur ich nass.”

Benedikt nimmt Kapazitätsgrenzen seines Fahrzeugs sportlich: “Ich war damit schon bei der Müllkippe.” Einmal musste er Erde wegbringen, dafür ist er drei oder viermal gefahren. “Das war ‘ne kleine Challenge – was kann man damit alles transportieren.” Rückblickend meint er: “Das würde ich nochmal machen. Allein schon aus Prinzip.” Ihr Modell, normalerweise das Rad anstelle des Autos zu nutzen, würden beide empfehlen. “Viele sagen, der Anschaffungspreis ist so hoch. Aber wenn man das vergleicht mit dem, was Leute sonst für ihren Zweitwagen bezahlen, dann sind das Peanuts.”

Einfache Lastenräder gibt es aktuell für knapp 2.000 bis etwa 2.400 Euro. Für ein günstiges Lasten-E-Bike zahlen Interessierte rund 2.500 Euro – exklusive Varianten kosten bis etwa 9.000 Euro. Trotz dieser Kosten – so wie die Hopmanns denken immer mehr Menschen in Deutschland. Wurden im Jahr 2018 noch 60.100 Lastenräder verkauft, waren es nach Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands im Jahr 2022 bereits 212.800, davon 165.000 mit Elektroantrieb.

Hinzu kommt: Wer ein Lastenrad besitzt, der nutzt es auch. Das legt zumindest eine Umfrage des Statistischen Amts der Landeshauptstadt Stuttgart aus dem Jahr 2021 nahe. In der schwäbischen Großstadt fahren 80 Prozent der befragten Familien nach eigener Auskunft mindestens viermal pro Woche mit ihrem E-Lastenrad. 94 Prozent der Befragten befördern damit ihre Kinder und fahren zum Einkaufen. Freizeitfahrten (83 Prozent) und der Weg zur Arbeit (51 Prozent) schließen sich an. Bei 61 Prozent führt die Anschaffung des Lastenrads dazu, dass das Auto für bestimmte Strecken in der Stadt nicht mehr genutzt wird.

Allerdings stoßen sogar die Hopmanns beim Fahrradfahren an Grenzen. Birgit erinnert sich: “Wenn ich auf einem Schutzstreifen fahre, der zwischen den Autospuren verläuft, und ich anfahren muss, mit zwei Kindern vorne drin, dann habe ich wegen des Gleichgewichts immer ein bisschen Angst.” Zweimal ist sie mit den Kindern im Lastenrad fast gefallen. Auf breiteren oder separaten Radwegen würde sie sich deutlich wohler fühlen. Benedikt ergänzt: “Die Radinfrastruktur ist zum Teil richtig mies.”

Jens Hilgenberg ist Experte für Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er betont: “Das Wichtigste ist, dass man auf sicheren Wegen unterwegs sein kann, so dass man sich auch als Kind oder als Mensch der nicht so häufig Fahrrad fährt, nicht trauen muss, sondern es ganz selbstverständlich ist, mit dem Fahrrad zu fahren.”

Dazu würden baulich getrennte Radwege in ausreichender Breite – also zwei Meter – beitragen. Bei einem Test der Breite von Radwegen musste der ADAC im Jahr 2020 allerdings feststellen, dass ein Drittel der in zehn Städten überprüften Radwege zu schmal war. Hinzu kommt, dass die aktuell gültigen “Empfehlungen für Radverkehrsanlagen” der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen die Platzbedürfnisse von Lastenrädern noch nicht widerspiegeln. Überarbeitete Empfehlungen werden zum Ende des laufenden Jahres erwartet.

Um sich nicht mit dem abzufinden, was sie an der Infrastruktur vor Ort stört, engagiert sich Familie Hopmann: Sie organisieren eine “Kidical Mass”. Die Fahrraddemonstration, bei der ganze Familien mitfahren, soll die Belange von Kindern im Straßenverkehr stärker ins Bewusstsein bringen. “Eine gute Infrastruktur für Kinder ist ja gleichzeitig auch eine gute Infrastruktur für alle anderen”, meint Benedikt.

Die Sache mit der Infrastruktur ist auf dem Land besonders schwierig. Das hat Birgit in der Eifel erlebt: “Wo ich herkomme, gibt es kaum Radwege. Da kann man eigentlich nur mit dem Auto fahren.” BUND-Experte Hilgenberg hält es zwar theoretisch für möglich, mit Lastenrädern auf dem Land alltägliche Wege zurückzulegen. Aber: “Da sind so viele Autos, die fahren so schnell, dass das einen gewissen Mut erfordert, mit dem Rad und insbesondere mit dem Lastenrad auf der Landstraße zu fahren.” Bei 100 Stundenkilometern und einem Meter Überholabstand sei das wirklich gefährlich.

Hilgenberg bilanziert: “Bei uns ist es immer noch so, dass ein parkendes Auto oft mehr zählt als ein fahrendes Fahrrad. Da muss man umdenken. Da braucht es politischen Willen und politischen Mut.” Neben einem solchen Bewusstseinswandel wünschen sich Hopmanns eine getrennte Rad-Infrastruktur, wie es sie zum Beispiel in den Niederlanden gibt. Wieso das in Deutschland nicht funktioniert? “Das kann doch nicht so schwer sein”, meint Birgit.