Jedes Jahr legen mehrere UN-Organisationen einen Bericht zur Ernährungssicherheit vor. Die jüngsten Zahlen bestätigen einen aus Sicht von Experten besorgniserregenden Trend.
Bei ihrem Treffen in Rio de Janeiro haben sich die Entwicklungsministerinnen und -minister der wichtigsten Industrie-und Schwellenländer zu Wochenbeginn auf eine gemeinsame Erklärung zur Bekämpfung extremer Ungleichheiten verständigt. Am Mittwoch legte die brasilianische G20-Präsidentschaft nach.
Mit einer “Globalen Allianz gegen Hunger und Armut” will Lula da Silva, der im linken Spektrum beheimatete Staatschef Brasiliens, dem Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt neuen Schwung verleihen. An dem Auftakttreffen nahm auch die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze teil. “In einer Welt, in der es eigentlich genug Nahrung für alle gibt, dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass Menschen ihren Hunger nicht stillen können”, sagte die SPD-Politikerin. Offiziell soll die Allianz beim G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im November ihre Arbeit starten
Ob das alles auch eine Wirkung in der Praxis entfaltet, ist offen. Dass mehr Elan nötig ist, um den Zugang zu Nahrung zu verbessern und Lebensmittel gerechter zu verteilen, legt zumindest die jährliche Studie zum Stand der Lebensmittelsicherheit und Ernährung nahe, die fünf große UN-Organisationen in Rio de Janeiro vorstellten: die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef), das Welternährungsprogramm (WFP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Demnach stagniert die Zahl der Hungernden auf einem hohen Niveau. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass im vergangenen Jahr 733 Millionen Menschen weltweit an Hunger litten. Besonders dramatisch ist die Lage in Afrika. Dort hungerte einer von fünf Menschen. Würden die derzeitigen Trends anhalten, “werden im Jahr 2030 etwa 582 Millionen Menschen chronisch unterernährt sein, die Hälfte davon in Afrika”, hieß es. Mit anderen Worten: Das große Ziel, bis 2030 den Hunger in der Welt ganz abzuschaffen, scheint derzeit unerreichbar.
Das liegt unter anderem an einer mangelnden Bereitschaft der Geberländer. “Wir haben die Technologien und das Know-how, um die Ernährungsunsicherheit zu beenden – aber wir brauchen dringend finanzielle Mittel”, fasst WFP-Exekutivdirektorin Cindy McCain zusammen. Deutsche Hilfsorganisationen übten einmal mehr Kritik an der Bundesregierung. “Vor dem Hintergrund der aktuellen Hungerzahlen sind die geplanten Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe ein ganz falsches Signal”, teilte etwa die Welthungerhilfe mit.
Problematisch für eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene sind aber auch die globalen politischen Verwerfungen. An der Spitze der FAO steht seit 2019 der chinesische Agrarwissenschaftler Qu Dongyu. Gerade im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, ein wichtiges Feld beim Kampf gegen den Hunger, verfolgt China einen eigenen Kurs. Manche Beobachter scheinen sich inzwischen zu fragen, ob die ohnehin schon unter Druck stehenden UN-Organisationen noch an einem Strang ziehen.
Allerdings: Es gibt auch Lichtblicke. “In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Kinder, die chronisch mangelernährt sind, weltweit um ein Drittel, oder 55 Millionen, gesunken”, rechnet Unicef-Exekutivdirektorin Catherine Russell vor. “Dies zeigt, dass sich Investitionen in die Ernährung von Müttern und Kindern auszahlen.”
Unterdessen treiben noch ganz andere Daten den Experten für Lebensmittelsicherheit und Ernährung die Sorgenfalten auf die Stirn. Zwischen 2012 und 2022 stieg der Anteil von fettleibigen Erwachsenen mutmaßlich von mutmaßlich 12,1 auf 15,8 Prozent. Schätzungen zufolge könnten bis 2030 weltweit mehr als 1,2 Milliarden Menschen davon betroffen sein.