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Umgang mit Sexualität keine Heilsfrage

Grundzüge für zeitgemäße evangelische Sexualethik entwickelt

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In der evangelischen Kirche sollten Fragen der Sexualität nach Ansicht von Theologen und Sozialwissenschaftlern nicht zur „Heilsfrage“ überhöht, sondern „sensibel und unverkrampft“ erörtert werden. Als Grunddimension menschlichen Lebens sei Sexualität auch eine Herausforderung für das kirchliche Leben und erfordere eine ethische Neubewertung, empfehlen die Verfasser eines Textes zur Sexualethik, zu denen neben anderen der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock gehört.
Im vergangenen Jahr hatte die EKD dieses Vorhaben zunächst gestoppt. Die kontroverse Debatte über das EKD-Familienpapier habe in Grundsatzfragen einen weiteren Klärungsbedarf gezeigt, wurde argumentiert. Eine abschließende Behandlung des Kommissionsentwurfs sei in der laufenden Ratsperiode nicht mehr möglich. Der neue Rat der EKD, der im November gewählt wird, könne entscheiden, wie damit zu verfahren sei, hieß es. Dabrock hatte als Vorsitzender der Kommission diese Entscheidung bedauert.
Fragen rund um Sexualität erwiesen sich mitunter als die „schwersten Konfliktherde“ im Protestantismus und anderen christlichen Konfessionen, schreiben die Wissenschaftler. Wo Formen von Sexualität Kriterien wie Freiwilligkeit, Respekt der Andersheit, Schutz der Beteiligten, Chancengleichheit und Bereitschaft zur Treue verletzten, „muss die evangelische Kirche sich für die Benachteiligten und Gefährdeten einsetzen“, heißt es in der Schrift „Unverschämt schön, Sexualethik: evangelisch und lebensnah“, die im August als Buch erscheint. Allerdings dürfe die evangelische Sichtweise nicht auf Konflikte und Sündhaftigkeit verkürzt werden.
Vielmehr sollte die Lebensdienlichkeit von Sexualität als „schöne Bereicherung“ in Seelsorge, religiöser Erziehung, in Gottesdienst und Predigt thematisiert werden.
In der kirchlichen Verkündigung sollte Sexualität nicht nur problematisiert werden, sondern es könnten häufiger „leib und sexualfreundliche“ Bibelstellen angeführt werden, empfehlen die Wissenschaftler. Wegen des verbreiteten Schamgefühls seien dabei allerdings Fingerspitzengefühl und gründliche Vorbereitung gefragt.
Als positive Beispiele werden zudem besondere Gottesdienste zum Valentinstag oder Gemeindeveranstaltungen wie Candle-Light-Dinner oder Tangoabende der Sinnlichkeit genannt. Sexualität sei grundsätzlich etwas Wunderbares und sehr Kostbares, sollte die kirchliche Botschaft lauten, heißt es in dem Buch.
Vor dem Hintergrund von sexuellen Missbrauchsfällen auch in kirchlichen Einrichtungen müssten Schutzbereiche sowie sichere Räume für Gespräche eingerichtet werden, lautet eine Empfehlung. Zudem sollte die evangelische Kirche ihre sexualtherapeutischen Beratungsangebote ausbauen. Fälle von sexualisierter Gewalt würden durch eine Tabuisierung von Sexualität gefördert.
Die Wissenschaftler gehen auch auf die Debatten über Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare oder das Zusammenleben von homosexuellen Partnern im Pfarrhaus ein: Immer mehr evangelische Kirchen seien in die Offensive gegangen: Sie geben gleichgeschlechtlichen Paaren ganz offiziell die Möglichkeit, ihre Beziehung unter den Segen Gottes stellen zu lassen. Trotz hitziger Debatten sei in der evangelischen Kirche zunehmend Reflexionsbereitschaft und Sensibilität zu beobachten.
epd