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Überbordende Gastfreundschaft und Lachverbot

Ohne ihren Seidenschal ging sie nie aus dem Haus, aber weil das Stück Stoff ständig vom Kopf rutschte, trug Kerstin Bub ihn bereits vom dritten Tag an meist nur noch pro forma um den Hals. Dabei war sie gewarnt worden: Bei Verstößen gegen die Kopftuchpflicht werde man zunächst ermahnt, beim zweiten Mal könne es sein, dass man von der Polizei mitgenommen werde, beim dritten Mal drohe Gefängnis.

Die Mainzerin, Jahrgang 1947, hat eine Reise hinter sich, vor der sie alle im Vorfeld gewarnt hatten. Fünf Wochen lang war sie auf eigene Faust durch den Iran unterwegs – einen Staat, der wegen seines diktatorischen Regimes im Westen nicht gerade als attraktives Urlaubsziel gilt. Erst recht nicht für eine allein reisende Frau und schon gar nicht für ein aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde wie Kerstin Bub.

Auch Ausländer müssen sich im Iran in der Öffentlichkeit an strikte Regeln halten: „Man darf nicht singen, nicht lachen, keine Gruppen bilden“, erzählt die pensionierte Sportlehrerin. Doch sie hatte es sich nun einmal schon vor langer Zeit in den Kopf gesetzt, die alte Kulturnation zu besuchen. Im Herbst 2023 kaufte sie sich ein Flugticket und ließ sich über ein Frankfurter Reisebüro ein Touristenvisum arrangieren. Sie erkundete die Islamische Republik von der Hauptstadt Teheran bis in den Süden an die Küste des Persischen Golfs und nach Täbriz im Nordwesten, bewunderte prächtige Moscheen und Relikte alter Hochkulturen, suchte Kontakte zu den Einheimischen.

Seit ihrer Rückkehr teilt Bub ihre Erfahrungen, zuletzt auch bei einem Vortrag in einer Mainzer Kirchengemeinde. „Ich möchte gern, dass die Menschen hier sehen, dass der Iran ganz anders ist“, sagt die erfahrene Rucksackreisende, die auch kommunalpolitisch aktiv ist und für die FDP im Stadtrat sitzt. Ganz anders – das soll heißen, anders als das Kopfkino des deutschen Durchschnittsbürgers.

Kerstin Bub erlebte ein Land, das von einer kleinen Schicht schiitischer Geistlicher mit unbarmherziger Härte regiert wird und in einer Wirtschaftskrise steckt, dessen Bevölkerung aber viel moderner und aufgeschlossener ist als die Führung. Sie erfuhr staunend, wie selbstverständlich Iraner sogar Fladenbrote für wenige Cent mit Karte bezahlten und exzellente, im Fall der Millionenstadt Schiras sogar komplett kostenlose Nahverkehrssysteme. Vor allem aber traf sie auf eine überbordende Gastfreundschaft.

So habe sie beispielsweise in der Metro ein Ehepaar kennengelernt, dessen Sohn in Mainz lebt. Die beiden hätten sich so sehr über die Begegnung mit einer echten Mainzerin gefreut, dass sie ihr abends unerwartet allerlei Köstlichkeiten ins Hotel brachten. „Davon hätten vier Leute satt werden können“, berichtet Bub. Wenn sie sich im Gewimmel der Gassen verirrte, wollten sofort zahlreiche Menschen helfen. Vielerorts habe es ausgereicht, auf der Straße ein paar Freundlichkeiten auf Englisch auszutauschen, um von Familien nach Hause eingeladen zu werden. „Bei uns ist niemand so“, bedauert sie.

Einen der bewegendsten Momente ihre langen Reise erlebte Bub schließlich in der historischen Weltkulturerbe-Stadt Jesd (Yazd), wo es noch eine winzige jüdische Gemeinde gibt. Dort konnte sie nach einigen Mühen eine historische Synagoge besichtigen. Das war am 7. Oktober 2023, wenige Stunden später erfuhr sie von dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Während offizielle Vertreter des Regimes die Attacke feierten, habe sie in der Bevölkerung kaum Hass auf Juden oder Israel wahrgenommen. Ein einziges Mal habe ein Museumswächter ihr als Deutscher ein Kompliment machen wollen und seine Sympathie für Adolf Hitler bekundet.

Dafür, dass sie ein einmaliges Land und dessen in der Mehrzahl unglaublich liebenswerte Menschen kennenlernen durfte, sei sie sehr dankbar, lautet Bubs Fazit: „Ich wünsche dem Land, dass ganz viele hinfahren, und bin überzeugt, die Menschen werden sich befreien.“