Der Stock ist vermutlich das älteste Werkzeug der Menschheit. Schon ein abgebrochener Ast konnte helfen, um sich besser fortbewegen zu können. Im antiken Ödipus-Mythos gehört er zur Rätselfrage der Sphinx nach dem Menschen: als Baby krabbelt er, dann richtet er sich auf zwei Beine auf und wird als Greis zum Dreibeiner.
Der Stock als Zeichen der Macht
Von der einfachen Gehhilfe hat sich der Stock zum Machtsymbol Zepter entwickelt, zum Statussymbol des bürgerlichen Spaziergängers im 19. Jahrhundert und zum praktischen Teleskopstock für Wanderer heute. Der klassische Spazierstock ist belastbar, mit metallener Spitze. Ein Flanierstock aus Bambus aus alten Zeiten konnte auch mal eine geschnitzte Elfenbein- oder Hornspitze haben.
Legendär ist der Stock des Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860), den er auf seinen Spaziergängen immer dabeigehabt haben soll. „Die Feder ist dem Denken was der Stock dem Gehen“, stellte er fest. Schopenhauers Stock hatte einen sogenannten T-Griff, wie ihn auch der gichtgeplagte Preußenkönig Friedrich II. im 18. Jahrhundert benutzt hatte.
Früher galt ein Stock vor allem als Insignie der Macht: Von den Pharaonen über Kaiser Friedrich I. Barbarossa, den Sonnenkönig Louis XIV. bis hin zu Napoleon schwangen Regenten ein Zepter und Richter einen Stab. Andererseits gibt es aber auch Hirtenstäbe: in der Hand von Schäfern, um die Wölfe abzuwehren, in der Hand von Bischöfen, um den Teufel von der Christenheit fernzuhalten. Der antike Gott Hermes trug einen Botenstab, Magier zelebrierten ihre Macht mit Zauberstäben.
Der „dritte Fuß“ des Pilgers symbolisierte im 12. Jahrhundert die Dreifaltigkeit und sollte spirituellen Halt geben. Vom heiligen Jakobus ist überliefert, dass er einen übermannshohen Stock mit Eisenspitze unten und verdicktem Ende oben mit sich führte. Straßenräuber und tollwütige Hunde mussten irgendwie abgewehrt werden. Aus den Pilgerstäben des Mittelalters entwickelten sich die traditionellen Wanderstöcke. Handwerker auf der Walz hängten ihr Bündel mit Habseligkeiten an einen Stock, den sie über der Schulter trugen. Während sich das Dekor der städtischen Spazier- und Flanierstöcke im 19. Jahrhundert weiter verfeinerte, dienten Wander- und Bergstöcke seit jeher eher der Funktionalität.
Das Handwerk des Stockmachers florierte damals. Heute gibt es nur noch wenige Manufakturen in Deutschland. Eine davon ist im thüringischen Eichsfeld: Dort in Lindewerra führte der Stockmacher Wilhelm Ludwig Wagner aus Göttingen 1836 das Handwerk ein. Er nutzte die Schösslinge der Eichen, die bei der Lohgerberei abfielen, einer speziellen Art des Gerbens von Leder mit Eichenrinde. 1915 widmeten sich 15 Familien der Stockmacherei. Ende der 20er Jahre kam eine halbe Million Stöcke aus dem Eichsfeld. Bis heute gilt Lindewerra als das Stockmacherdorf Deutschlands. Sieben Stockmacherbetriebe hatten sich in den 1990er Jahren zur Stockmanufaktur Lindewerra GmbH & Co. KG zusammengeschlossen.
Dreißig Arbeitsgänge durchläuft ein Stock
Michael Geyer führt die Tradition seiner Familie weiter. Nur, dass er heute nicht mehr mit Eichenholz arbeitet, sondern mit Kastanienholz aus Spanien und Südengland. „Mit der Wende brachen die Strukturen der Absatzmärkte ein, aber mittlerweile ist der Umsatz wieder stabil“, sagt er. Das Holz für einen Stock muss in Wasserdampf gedämpft und danach in Form gebracht werden. „30 Arbeitsgänge sind insgesamt nötig“, beschreibt Geyer.
Für Bergwanderer und Nordic Walker hat die Industrie mit modernen Stöcken und Gehhilfen aus Aluminium oder Carbon und Dämpfungssystem das aufwendige Handwerk der Stockmacher verdrängt. Doch Wunder können auch die nicht vollbringen: Für Knie und Gelenke ist ein Stock eine Erleichterung. Aber der Gleichgewichtssinn wird mit der Gehhilfe nicht besser.