Artikel teilen:

Typisch Emil – Gelungenes Porträt des Kabarettisten Emil Steinberger

Kinderwagen, Telefon, Milchkanne – mehr als ein oder zwei Requisiten brauchte er selten. Emil Steinberger prägte das Kabarett der Schweiz – und darüber hinaus – wie kein Zweiter. Aber wer ist der Mensch hinter der Figur?

Wer in der Schweiz der 1970er- oder 1980er-Jahre aufgewachsen ist, kam um Emil Steinberger (Jahrgang 1933) und dessen Bühnenfigur “Emil” nicht herum. Die Sketche des bekanntesten Schweizer Kabarettisten kamen als köstliche Mischung aus Selbstgespräch und Unterhaltung mit fiktiven Partnern daher. Dafür brauchte Steinberger nur wenige Requisiten: mal einen Kinderwagen, mal eine Milchkanne oder auch Tisch, Stuhl und Telefon.

Steinberger hat seine Freude am Nachahmen und Verkleiden schon als Kind entdeckt. Mit Schulkameraden zusammen studierte er schon früh eigene Stücke ein. Mit eigenen Solonummern ging er aber erst auf die Bühne, als er 1967 zusammen mit seiner ersten Frau das Kleintheater Luzern gründete. Zuvor hatte er als Postbeamter gearbeitet, eine Ausbildung zum Grafiker absolviert und nebenbei in unterschiedlichen Theatergruppen und Ensembles gespielt.

Fortan ging es mit seiner Karriere steil bergauf. Ein 1970 von der ARD ausgestrahlter Kurzauftritt in Hochdeutsch öffnete ihm den Weg auf die deutschen Bühnen. Steinberger übertrug seine schweizerdeutschen Nummern in ein holpriges Hochdeutsch – “Dä Chinderwage” wurde zu “Der Kinderwagen” und “Polizeiposchte Schnyder” zu “Polizeihauptwache”. Ins Französische hat Steinberger seine Nummern auch übertragen und damit – nicht akzentfrei, aber charmant parlierend – die französischsprachige Schweiz erobert.

Was Steinbergers kreatives Schaffen auszeichnet, sind neben seinem schauspielerischen Talent die Liebe zu den Menschen sowie ein schalkhafter Humor, der sich aus der exakten Beobachtung menschlichen Verhaltens nährt. Über Steinbergers Nummern muss man einfach schmunzeln oder laut lachen. Im Grunde, sagt seine zweite Frau Niccel, lasse Steinberger die Zuschauer nicht über andere, sondern über sich selbst lachen.

Niccel ist 32 Jahre jünger als ihr Mann und die zweite Protagonistin des von Phil Meyer inszenierten Dokumentarfilms. Ursprünglich wollte sie Clownin werden und stand mit Steinberger ab 1987 in regem Briefwechsel, bevor sie ihm acht Jahre später in New York erstmals begegnete. Ohne die gemeinsamen Jahre dort, in denen Steinberger sich ab 1993 neu zu erfinden versuchte, hätten die beiden wohl nie zusammengefunden. Sichtlich berührt sagt er in “Typisch Emil”, er bewundere den Mut seiner Frau, die ihre eigenen Pläne sausen ließ und beschloss, sich fortan ausschließlich ihm und seinem Werk zu widmen.

“Typisch Emil” setzt 2022 mit der Verleihung des “Swiss Comedy Awards” an den damals 89-Jährigen ein für sein kabarettistisches Lebenswerk. Danach springt der Film in Steinbergers Kindheit und Jugend zurück, um sein Leben und Schaffen aufzublättern. Eine wichtige Rolle spielen die größeren Zäsuren: Steinbergers abrupte Abwendung vom ihn beengenden Elternhaus, den Abbruch seiner Emil-Karriere und den Aufenthalt in New York. Dann die Rückkehr in die Schweiz 1999, zusammen mit Niccel, die er in New York geheiratet hatte, und schließlich die späte zweite Karriere, die ihn zurück auf die Bühne und auch zu seinen alten Emil-Nummern führte.

“Typisch Emil” ist auf den ersten Blick ein klassischer biografischer Film, der sich aus einer reichen Fülle von Archivmaterialien, privaten Fotos und Erinnerungsstücken sowie nachgespielten Szenen speist. Ganz so klassisch ist die Doku dann aber doch nicht. Was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass Niccel und Steinberger Meyer für die Regie angefragt hatten.

Auf der Ebene der persönlichen Biografie hält sich der Film nämlich auffallend zurück, insbesondere was Steinbergers erste Lebenshälfte angeht. Dass Emil zwei Geschwister hatte, wird nicht klar. Auch seine erste Frau Maya, mit der er 23 Jahre verheiratet war, wird lediglich im Abspann erwähnt, ebenso seine beiden Söhne.

Man kann das und einiges andere kritisch anmerken, aber dem Film letztlich nicht vorwerfen. Denn es tut dem Vergnügen, innerhalb von 120 Minuten mitzuerleben, wie Steinberger seine Emil-Figur in schnöseligen jungen Jahren und mit später Reife interpretiert, keinen Abbruch. Und es zeigt, was Steinberger vor allem auszeichnet: sein Verständnis für alles Menschliche, über das man definitiv besser lacht als weint.