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Tube zur Freiheit

John Goffe Rand war sauer. Der US-Maler saß in England im Grünen und ärgerte sich über seine eingetrockneten Farben. Das wollte der Tüftler nicht hinnehmen – und gab vor 175 Jahren der Kunstgeschichte einen neuen Verlauf

„An alle, die es angehen könnte: Nr. US 2.252A: Verbesserung bei der Herstellung von Gebinden oder Vorrichtung zur Konservierung von Farbe“. So technisch nüchtern kommt der Titel des Patents vom 11. September 1841 daher, mit dem der US-Amerikaner John Goffe Rand vor 175 Jahren die Malerei weltweit revolutionierte – und der Kunstgeschichte einen anderen Verlauf gab. Seine Farbtuben aus Blei, inklusive Schraubdeckel und Füllmaschine, ermöglichten fortan das Malen im Freien. Die Bahn war frei für eine neue Form der Landschaftsmalerei – und den Im-pressionismus.
Es war echter Erfindergeist, geboren aus dem Frust der Praxis. Denn der US-Maler John Rand (1801-1873) war ursprünglich vor allem eines: sauer. Er saß im Grünen und ärgerte sich über seine eingetrockneten Farben. Seit vielen Jahrhunderten hat-ten die Künstler ihre Farben nämlich erst direkt vor Gebrauch frisch angemischt. Wer zögerte, verlor – Geld, Geduld und Kreativität. Unermüdlich tüftelte der Mann aus Boston daher an einem neuen Verfahren zur Konservierung von Farben. Industriell bewährt, wurde es 1851 bei der Londoner Weltausstellung präsentiert.

„Ohne die Farbtuben kein Impressionismus“

Rand, der in den 1840er Jahren bereits in der britischen Grafschaft Middlesex und in London lebte, hatte in seinem ureigenen Interesse erfunden – doch er wurde zum Segen für viele. Nun konnte das Licht des Tages (oder der Nacht) unmittelbar auf die Leinwand, in den unterschiedlichsten Stimmungen des Wetters und der Jahreszeiten. Und so sah man sie fortan durch die Landschaft schieben: Strohhut, Hemdbrust, Weste und Nickelbrille, im Gepäck die Staffelei, Malkoffer, Hocker und Sonnen-schirm, nicht zu vergessen die Leinwand. Fertig ist der (vorerst erfolglose) Künstler des Impressionismus.
Der neue Stil und die neue Freiheit bargen freilich auch neue Gefahren: Claude Monet (1840-1926) soll 1885 an den Kreidefelsen von Etretat in der Normandie, von der Flut überrascht, eine komplette Ausrüstung verloren haben. Und Paul Cezanne (1839-1906) kosteten sie sogar das Leben: Im Oktober 1906 wurde er in Aix-en-Provence nach einem Unwetter hilflos von einem Wäschekutscher aufgelesen. Von der Lungenentzündung erholte er sich nicht mehr und starb sieben Tage später.
Farbe, das war für die Impressionisten eine Folge von Licht und Atmosphäre. Viele von ihnen verzichteten auf das zuvor konstitutive Schwarz und Braun – was die Farbpalette aufhellte und den modernen Beobachter elektrisierte. Sehr bald schon lösten sich die Künstler von der akademischen Pflicht, mit ihren Bildern die Realität abzubilden. Es ging ihnen um den Moment, um die scheinbare Zufälligkeit des Augenblicks – wobei doch zumeist die Führung gebende Perspektive des Betrachters ihren Gestaltungswillen verrät.
Parallel zur Möglichkeit der Konservierung sorgte die Entwicklung der Chemie-Industrie im 19. Jahrhundert für eine große Erweiterung der Farbpalette. Auch der nun flache Borstenpinsel (statt des runden) begünstigte den Malstil der Impressionisten. Dennoch befand Pierre-Auguste Renoir (1841-1919), geboren nur wenige Monate vor Rands Patentregistrierung, ganz klipp und klar: „Ohne die Farbtuben hätte es keinen Impressionismus gegeben.“

Flache Borstenpinsel begünstigten neuen Malstil

John Goffe Rand, selbst einst ein ambitionierter Landschaftsmaler, blieb eine Randfigur dessen, was er maßgeblich anstieß. Seine nachfolgenden Erfindungen blieben zumeist kommerziell erfolglos. Ein Jahr vor Rands Tod 1873 gab Claude Monet der bis dahin geächteten Kunstbewegung mit seinem Gemälde „Impression – soleil levant“ (Eindruck – Morgensonne) ihren Namen für die Nachwelt.
1874, da war der Erfinder bereits gestorben, fand die erste Gruppenausstellung der „Impressionisten“ im Atelier des Pariser Fotografen Nadar (Gaspard-Felix Tournachon, 1820-1910) statt. Doch Rand zum Trost: Viele der Maler, denen er zu ihren neuen Ausdrucksmöglichkeiten verholfen hatte, gelangten selbst erst nach ihrem Tod zu Berühmtheit – und Phantasiepreisen.
Rands Bleituben entwickelten sich im Lauf der Jahrzehnte weiter. Seit den 1890er Jahren gab es in den USA Zahnpastatuben aus Zinn, die von der Firma Beiersdorf/Tesa 1908 auch in Deutschland patentiert wurden. Seit den 1920er Jahren ist Aluminium das bevorzugte Material, seit den 1950ern Kunststoff.